Ameisenroman
Schwebfliegen, Furchenbienen, Waldnymphen, Gelblinge,Weißlinge, Bläulinge, Dickkopffalter und Ritterfalter schwärmten ein, als hätte es Gewalt und Tod hier nie gegeben.
Im Hochsommer wimmelte es im Graswurzeldschungel von Hunderten von Insektenarten, die der jeweils vorherrschenden Nische unterschiedlich angepasst waren. Vielfach hatten sich Spinnen eingenistet, die sich von ihnen ernährten. Einzelne Arten fingen ihre Beute in Radnetzen oder Raumnetzen, oder sie rannten aus Röhren und Trichtern aus Spinnenseide und überfielen ahnungslose Passanten. Wenige lagen reglos und gut getarnt auf Blütenständen und warteten im Hinterhalt auf Bienen und andere Bestäuber. Die Spinnentiere kamen in vielen Formen und Größen vor, von den Baldachinspinnen, die kleiner waren als ein Stecknadelkopf, bis hin zu den eine halbe menschliche Handspanne messenden Wolfspinnen.
Obwohl Spinnen keine Flügel haben, waren sie seltsamerweise unter den ersten Tieren, die in der sich regenerierenden Superkolonie Fuß fassten. Einige kamen zu Fuß, aber erstaunlicher waren noch die anderen Pioniere, die durch die Luft kamen. Diese Methode der Fortbewegung ist bei Spinnen so alt wie weitverbreitet. Wenn eine junge Spinne, die über diese Fähigkeit des «Ballooning» verfügt, eine große Entfernung zurücklegen möchte, krabbelt sie zu einer offenen Stelle auf einem Grashalm oder einem Zweig, reckt ihren Hinterleib hoch, so dass die Spinndrüsen am hinteren Ende nach oben weisen, und scheidet einen Spinnfaden aus. Der zarte kleine Faden ist gleichsam der Drachen der Spinne. Der Luftzug zieht ihn aufwärts, bis die junge Spinne unter der Spannung den Faden allmählich verlängert. Übertrifft die Zugkraft ihr eigenes Körpergewicht, so hebt sie mitallen acht Beinen ab und setzt die Segel. Eine fliegende Jungspinne kann Tausende Meter Höhe erreichen und über Meilen mit dem Wind reisen. Wenn sie landen möchte, zieht sie den Seidenfaden millimeterweise ein, frisst ihn auf und sorgt damit für eine sanfte, allerdings noch immer riskante Landung. Dem Risiko, das sie mit dem Flug eingeht, stehen aber gute Gewinnchancen gegenüber. Wenn die Spinne da so an ihrem Seidendrachen durch die Luft segelt, kann sie Territorien erreichen, auf denen noch keine konkurrierenden Spinnen leben. Und genau ein solches Vakuum herrschte zumindest eine Zeitlang in dem kürzlich entleerten Revier der Superkolonie.
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D ie Woodlander-Ameisen verhielten sich wie menschliche Eroberer, die auf einer unbewohnten Insel landen. Das verlassene Gebiet der Superkolonie bot der hungernden Kolonie eine reiche und momentan unbegrenzte Futterquelle. Die Woodlander brauchten sich eine Weile nicht gegen andere Ameisenkolonien durchzusetzen. Freilich ließ sich die Goldgrube nicht leicht beernten. Die krabbelnde, nervöse Beute, die Ameisen jagen, ist nicht so einfach einzuheimsen wie niedrig hängende Früchte an einem Busch, die man nur abzupflücken braucht. Sie ließ sich nur mit Geschick und Tücke überwältigen. Wenn die Patrouillen der Woodlander die Krautschicht durchzogen, begegneten die Arten, auf die sie aus waren, ihnen mit Schutzmechanismen, die sie in Millionen Jahren der Evolution herausgebildet hatten. Solche Verteidigungsstrategien sind unendlich vielfältig, und manche davon richten sich ganz speziell gegen Ameisen. Viele sind, selbst gemessen an menschlichen Militärstandards, äußerst erfinderisch, ja genial. Die Jägerinnen der Woodlander trafen auf träge Hornmilben, die aussahen wie eine Kreuzung aus Spinne und Schildkröte. Sie hätten gefundenes Fressen sein können, waren aber von ihren harten Schalen geschützt, die nicht einmal die kräftigen Kiefer einer Ameise so leicht knacken konnten. Tausendfüßer waren ein großartiger Fang, aber sie waren aufandere Weise zu gut gewappnet: Ihre länglichen Körper waren wie bei mittelalterlichen Rittern mit ineinander verhängten Platten bedeckt, die ihnen einige Beweglichkeit ließen. Erwiesen sie sich doch als nicht ausreichend, so setzten Tausendfüßer Gifte auf ihre Angreifer frei, unter anderem Cyanid. Asseln, diese grabenden Krustentierchen, hatten eine ähnlich gelenkige Rüstung und konnten sich zudem noch zu so gut wie undurchdringlichen Kugeln aufrollen. Springschwänze hatten winzige weiche Körper, die sich direkt verspeisen ließen, aber sie waren extrem wachsam und verhielten sich äußerst nervös. An ihrer Bauchseite besaßen sie einen Hebel, der sie mittels eines Sprungfedersystems
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