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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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Intelligenz sich auf die Windungen, Lappen und Zellkerne des menschlichen Gehirns verteilt. Ein Kader der Woodland-Arbeiterinnen kannte sich in einem bestimmten Teil des Territoriums außerhalb des Nests aus, ein zweiter Kader in einem anderen. Gruppen von Nestbauern erinnerten sich an den Weg durch verschiedene Abteilungen des Gesamtnests, und wieder andere wussten über den Stand der Brutpflege Bescheid. Verschiedene ältere Jägerinnen hatten Erfahrungen etwa mit Regen gemacht, mit Kämpfen gegen Feinde oder mit der Nektarernte an Blattläusen und anderen Saftsaugern. Und nur wenige Kundschafterinnenwussten, wie sich die Grenzen des Territoriums erweitern ließen.
    Die Woodland-Kolonie insgesamt lernte also, indem Bruchstücke von Wissen abgerufen und nach Bedarf zusammengesetzt wurden; zur Kommunikation diente dabei die Sprache der Pheromone. Und da der Superorganismus sehr viel mehr wusste als jede einzelne Ameise, war er auch sehr viel gewandter.
    In dieser angenehmen Phase erfuhr die Woodland-Kolonie aber auch, was der Preis für ihren Wohlstand war. Bald war sie in ihrer ursprünglichen Behausung sehr beengt. Die Arbeiterinnen hatten unter und rund um das ursprüngliche Nest neue Gänge und Kammern gegraben, jedes abgetragene Stück war winzig, aber so groß, wie eine einzelne Arbeiterin es zwischen ihren beiden Mandibeln gerade noch tragen konnte. Doch das karge Humusgemisch im Boden, in dem das Nest lag, war zu trocken und zu bröckelig, um einer Kolonie dieser Spezies einen idealen Lebensraum zu bieten, und die allgegenwärtigen Wurzeln waren zu dick und hart, als dass die Arbeiterinnen sie hätten durchschneiden können. Zudem noch eignete sich das wirre und stets beschattete verbuschte Gehölz rundherum wenig zur Futtersuche.
    Bei ihrer Erforschung der Geisterstadt entdeckten die Kundschafterinnen schnell das große, weit verzweigte System von Tunnels und Kammern, das die früheren Einwohner der Superkolonie hinterlassen hatten. Es gab zahlreiche Eingänge, von denen allerdings die meisten jetzt durch Erdrutsche versperrt waren. Einige der Kundschafterinnen, die das neue Territorium erforschten, begannen, Spuren von den zugänglichen Eingängen zurück zum Mutternest im Buschwald zu legen. Ein paar Nestgefährtinnenfolgten den Spuren, doch ihre Reaktionen bei der Ankunft an den Eingängen der Superkolonie, für die die Kundschafterinnen geworben hatten, fielen nicht besonders begeistert aus. Sie legten dann entweder selbst schwache, durchbrochene Spuren, oder aber sie kehrten heim, ganz ohne die Information an irgendwelche Nestgefährtinnen weiterzureichen.
    Unterdessen spitzte sich das Unterbringungsproblem zu Hause weiter zu. Die Woodland-Kolonie suchte nun ernsthaft nach einer alternativen Heimstatt. Die Koloniemitglieder legten und verfolgten Spuren zu immer mehr möglichen Standorten, und indem sie das mit unterschiedlicher Intensität taten, stimmten sie über die Standorte ab, die ihnen vorgeschlagen wurden. Manche Kandidaten bekamen wenige Stimmen, andere gar keine. Anfangs konnte sich keiner der vorgeschlagenen Standorte mit einem starken Andrang von Spurlegern durchsetzen, und mit der Zeit schlief die Rekrutierung für die meisten von ihnen ganz ein. An einem Morgen Mitte August aber trafen ein paar Kundschafterinnen auf eine besonders günstige Stelle, fast in der Mitte des alten Nests der Trailhead-Kolonie. Sie gruben sich durch den Deckel aus Erde, der den ursprünglichen Haupteingang versperrte. Als sie in das teilweise offene Nestwerk darunter vordrangen, wurden sie immer begeisterter. In immer kürzeren Abständen berichteten einige von ihnen zu Hause von der guten Neuigkeit. Andere kamen heran und legten ihrerseits Spuren. Zusammen genommen wurden die Spuren stark, und einige der erregteren Kundschafterinnen begannen mit ihren Fühlern die Körper ihrer Nestgefährtinnen zu betrillern, um noch nachdrücklicher zu werben. Die dringend verbreiteteBotschaft lautete:
Folgt mir! Folgt mir!
Die Abstimmung tendierte nun deutlich zu dem neuerdings bevorzugten Standort. Die Zahl der Arbeiterinnen, die zwischen ihm und dem Mutternest hin- und herliefen, stieg exponentiell an. Je mehr Spursubstanzen gelegt waren und je mehr Kundschafterinnen mit ihren Fühlern trillerten, desto mehr Nestgefährtinnen verließen das Mutternest, um den neuen Standort zu besichtigen. Bald schon hatte das Wahlvolk der Ameisen entschieden. Die gemeinsame Intelligenz befand:
Das ist der richtige Ort!
Gleich wurde

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