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Ameisenroman

Ameisenroman

Titel: Ameisenroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E. O. Wilson
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in der die Superkolonie umgekommen war und wo sich jetzt nichts mehr regte, hatte ganz kurz vor dem Rückzugsgebiet der Woodlander am Ufer des Dead Owl Cove geendet. Als zuerst die Trailhead-, dann die Streamside-Kolonie über diese Gegend herrschte, hatten sich ihre Kundschafterinnen manchmal so weit in den Wald vorgewagt, dass sie direkt am Nesteingang der Woodlander vorbeigekommen waren. Doch die kleine Kolonie hatten sie nie gefunden. Einige aber näherten sich so sehr und so häufig, dass die Bewohner sich ängstigten. Die Woodlander blieben in der unmittelbaren Umgebung ihres Nestes; zwangsläufig mussten sie mit ein paar kleinen Happen Futter auskommen, meist toten Insekten. Als die Superkolonie die Herrschaft übernahm, wurde ihre Lage noch schlimmer. Es häuften sich nun die Streifzüge von Kundschafterinnen, und manche kamen wirklich gefährlich nahe. Gezwungenermaßen entfernten sich die Woodlander bei der Futtersuche kaum noch vom Eingangsbereich ihres kleinen Nests. Und trotzdem wurden einige von ihnen von den Kundschaftern der Superkolonie geschnappt.
    Als die Superkolonie zerstört wurde, lag die Woodland-Kolonieauch im Sterben, freilich auf völlig andere Weise. Die Zahl der Arbeiterinnen war von an die hundert zu Zeiten der Trailhead-Kolonie auf jene zwanzig geschrumpft, die sich jetzt im Nest drängten. Soldatinnen gab es überhaupt nicht. Die Königin hungerte. Ihre Ovarien waren verkümmert und legten keine Eier mehr. Die Todesrate bei den Arbeiterinnen stieg unaufhaltsam an, während die Geburtsrate auf null fiel. Die kleine Kolonie, so schien es, konnte als direkter Nachbar der Superkolonie den Rest der warmen Jahreszeit nicht überleben.
    Dann kamen die wandelnden Bäume, die Ameisengötter, die wie durch ein Wunder die Superkolonie vom Angesicht der Ameisenwelt tilgten. Sofort wich der tödliche Druck von den gefährdeten Woodlandern. Ein paar versprengte Superkolonie-Kundschafterinnen waren noch außerhalb der Todeszone auf Patrouille gewesen, als die Götter kamen, aber sie stellten keine Bedrohung mehr dar. Innerhalb weniger Stunden waren sie alle tot, sobald sie versuchten heimzukehren und unwissentlich den noch immer vom Gift verseuchten Boden berührten. Und jetzt, eine Woche später, war schon keine Spur ihres Duftes mehr im Umfeld des Woodland-Nests zu finden.
    Anfangs sehr schüchtern, begannen die Arbeiterinnen der Woodlander, sich weiter von ihrem Nest fortzuwagen als je zuvor. Sie fanden mehr und bessere Nahrung, überwiegend in Form von toten oder leicht zu fangenden Insekten der Arten, die vorher ihre dominanten Nachbarn bevorzugt hatten. Ebenfalls in großzügigen Mengen standen neuerdings die Tropfen zuckriger Ausscheidungen zur Verfügung, die die Blattläuse von ihren nahen Behausungen auf den unteren Ästen der Bäume fallen ließen.
    Gegen Ende September, als es noch warm war und die Flora grün, kam wieder Leben in die Ovarien der Woodland-Königin. Sie legte Eier, und gesunde junge Larven füllten bald die Brutkammer des verborgenen Nests.
    Als im folgenden April die letzte Winterstarre aus den tieferen Bodenschichten wich und der Frühlingswuchs der Pflanzen gut in Gang gekommen war, begannen die Woodlander, zur Futtersuche weiter ins Gelände zu ziehen. Die Kolonie wuchs jetzt kräftiger. Nach nur wenigen Tagen betraten die ersten Kundschafterinnen das Brachland, das einst das Territorium der Superkolonie dargestellt hatte. Die Pestizide hatten sich aus der Todeszone vollständig verflüchtigt, und Insekten und andere kleine Wirbellose drangen in das Gebiet vor und erforschten es auf eigene Faust. Viele waren für die Woodlander leichte Beute.
    Als Brachland war es aus der Säuberungsaktion hervorgegangen, jetzt aber war es wie ein frisch bepflanzter Garten: Ironischerweise erwies sich die intensive Besiedelung durch die Superkolonie als sehr nützlich. Der Boden war durch die Gänge und Kammern ihrer Nester gut belüftet und dann durch ihre sich zersetzenden Körper gedüngt worden, so dass er jetzt einen idealen Nährboden für die Pflanzen darstellte. Gräser und Kräuter, die in der Sumpfkiefersavanne heimisch waren, dominierten wieder unter den Arten, die die Ameisen-Apokalypse überlebt hatten. Im Juni bildete die aufstrebende Bodenvegetation einen dichten grünen Teppich auf der ehemaligen Nestoberfläche. Die schnellwüchsigsten Sommergräser standen Anfang Juni in voller Blüte, und ein vollständiges Spektrum von Bestäubern bediente sie – Rosenkäfer,

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