Ameisenroman
über Entfernungen durch die Luft schießen konnte, die in menschlichem Maßstab der Länge eines Fußballfeldes entsprachen – und damit waren sie außer Gefahr. Fadenwürmer, die häufigste Tierart der Erde, gab es überall im Boden, aber sie waren so klein, dass Ameisen sie nicht gut zu fassen bekamen. Laufkäfer, die Erzrivalen der Ameisen in Bezug auf Nahrung und Revier, erwiesen sich als Allround-Kämpfer. Sie waren nicht nur gepanzert, giftig und beweglich, sondern konnten unter besonderem Stress auch auffliegen – und als letztes Mittel besaßen sie noch scharfe Kiefer, die kräftig genug waren, um eine Ameise im Insektennahkampf zu zerbeißen.
Die Jägerinnen der Woodlander gaben ihr Bestes und begnügten sich mit der verfügbaren weichen, langsamen und wohlschmeckenden Beute. Traf eine Woodlanderin auf eine abgestürzte Raupe oder einen anderen Wirbellosen, der in diese Kategorie fiel – also ein ungiftiges Tier, das nicht mit rasselnden Kiefern um sich schnappte oder schnell wie ein Drag-Racer davonlief, und das außerdemnoch groß genug war, dass sich die Mühe lohnte –, dann reagierte sie geradezu enthusiastisch. Sie berichtete der Kolonie von ihrem Fund, indem sie eine chemische Duftspur zum Nest legte und ihre Nestgefährtinnen mit schnellen Schlägen ihrer Vorderbeine betrillerte. Das erregte die Arbeiterinnen und trieb sie heraus, und wenn sie die Beute selbst attraktiv fanden, griffen sie an. War die Beute so groß, dass eine einzelne Arbeiterin sie nicht bewältigte, so konnte ein ganzer Schwarm Arbeiterinnen, der gleichzeitig über sie herfiel, doch ihrer Herr werden.
Einmal wurde eine Streitmacht von Woodlandern während der Erforschung ihres neuen Territoriums zur Nymphe einer Maulwurfsgrille berufen. Das noch nicht einmal ausgewachsene Tier war im Vergleich zu einer Arbeiterin immer noch so groß wie eine Kuh im Vergleich zu einem Menschen. Das erste Dutzend eintreffender Arbeiterinnen genügte, um die Beute zu töten. Mehrere der Angreiferinnen packten dazu die Nymphe an den Beinen und spreizten diese auseinander, während andere sie in die verletzlichen Nähte zwischen den einzelnen Platten ihres Chitinpanzers stachen.
Ein andermal entdeckten die Woodlander ein Beutetier, das als Fang der Woche gelten konnte: eine erwachsene Raupe des Cecropia-Nachtfalters, die für Ameisen so groß war wie für Menschen ein Wal. Hunderte Arbeiter, dazu diesmal noch ein Trupp Soldatinnen, mussten mithelfen, um das Monster zu überwältigen und ins Nest zu schleppen.
Nach derselben Methode ging die Woodland-Kolonie vor, um große, bereits tote Tiere für sich zu beanspruchen und zu bergen, bevor eventuelle Rivalen ihnen zuvorkamen. In Kalorien gerechnet, konnte der Fund einersolchen Goldgrube für die Kolonie beträchtlich sein. Einmal versammelte sich eine Abordnung von Arbeiterinnen um die gerade entdeckte Leiche einer Eidechse. Hingeführt hatte sie eine ihrer unternehmungslustigsten Elite-Kundschafterinnen. Der Nährwert dieser Trophäe war so hoch, dass die Kolonie allein damit tagelang versorgt war. Plötzlich aber entdeckte den Riesenfund auch ein Trupp Feuerameisen. Sie waren von ihren eigenen Kundschafterinnen aus einer weiter abgelegenen Kolonie rekrutiert worden, und sie taten, was Feuerameisen am besten können: Schnell formierten sie sich zu Streitkräften und griffen alles an, was sich bewegte. Und sie waren hervorragende Kämpfer, besonders in Gruppen. Es kam zu einer Schlacht, und bald schon häuften sich auf beiden Seiten Tote und Verletzte. Die Woodlander gewannen schließlich die Oberhand, und zwar vor allem, weil ihr Nest in der Nähe lag und sie ihre Streitkräfte mithin schneller nachrüsten konnten. Auch dass Soldatinnen vor Ort waren, war hilfreich: Nicht nur versetzten die Mitglieder dieser größeren Kaste den Feuerameisen tödliche Stiche, sondern sie nutzten auch ihre messerscharfen Kiefer, um sie in Stücke zu schneiden. Die siegreichen Woodlander konnten alle Feuerameisen vom Körper der Eidechse vertreiben und ihn Zentimeter für Zentimeter in ihr eigenes Nest schleppen.
Inzwischen verfügte die Woodland-Kolonie über eine ausreichende Streitkraft. Jede ihrer Hopliten-Soldatinnen war eine perfekte Kampfmaschine zur Verteidigung der Kolonie, eignete sich aber auch als Eskorte für Arbeiterinnen bei der Nahrungsbergung. Ihr Körper war dick und muskulös. Der herzförmige Kopf war riesig im Vergleich zum Körper. Der aufgeblähte Hinterkopf enthielt Adduktor-Muskeln,die
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