Amelia Peabody 01: Im Schatten des Todes
Liebespaares zu trösten, wenn ich auch der Meinung war, daß ein bißchen Vernunft von beiden Seiten das Problem leicht hätte lösen können.
Mit Michaels Hilfe trieb ich die Bootsmannschaft an. Michael war von einer sagenhaften Hingebung und las uns jeden Wunsch von den Augen ab, wenn ich ihn insgeheim auch verdächtigte, mich für eine wichtigtuerische, unlogische Frauensperson zu halten. Ein Hotelgast bei Shepheard’s hatte mir verraten, koptische Christen dürfe man nicht zum Dragoman wählen, weil die Moslems unter den Bootsmannschaften und die Kapitäne sie boykottierten. Aber Reis Hassan und Michael schienen gut miteinander zurechtzukommen, und die Vorbereitungen liefen gut weiter. Das Klavier stand bald im Salon, neue Vorhänge hingen an den Fenstern und sahen sehr schön aus, die Besatzung kehrte allmählich aufs Schiff zurück, und Travers schickte ich nach England zurück.
Wir hatten sehr viel zu tun mit all den Einkäufen, wir besuchten auch ein paarmal Michaels kleines Mädchen, probierten unser Arabisch aus, ließen das Klavier stimmen, machten einen letzten Besuch in Gizeh und gingen noch ein paarmal ins Museum. Bei den britischen Behörden fand ich einen alten Freund meines Vaters, der im Finanzministerium tätig war. Er war mir fast böse, weil ich ihn nicht schon früher aufgesucht hatte, denn er hätte die Gelegenheit, mich auszuführen, nur allzu gern wahrgenommen. Schließlich fühlte ich mich unter seinem prüfenden Blick unbehaglich.
Endlich platzte er heraus: »Miß Amelia, ahnen Sie denn überhaupt, wie sehr Sie sich verändert haben? Die ägyptische Luft tut Ihnen offensichtlich gut. Sie scheinen heute sehr viel jünger zu sein als bei meinem letzten Besuch in Sussex.«
Ich trug ein Kleid, das Evelyn für mich ausgewählt hatte; es war senfgelber Foulard mit grünen Paspeln und drapierten Röcken. »Feine Federn, mein Freund, stehen auch alten Hennen gut«, antwortete ich. »Aber Sie können mir vielleicht helfen …«
Natürlich war ich zu ihm gekommen, um etwas über Evelyns Großvater herauszufinden, doch er war so sehr Gentleman, daß er nicht nach dem Grund meines Interesses fragte. Er unterrichtete mich davon, daß er vor etwa zwei Wochen vom Tod des alten Herrn erfahren habe, über die Tatsache hinaus wußte er jedoch nichts. Und ich
konnte keine weiteren Fragen stellen, wollte ich nicht verraten, wer Evelyn war. Also blieb meine Neugier unbefriedigt.
Als ich gerade das Büro verlassen wollte, kam Major Baring, jetzt Sir Evelyn, der Generalkonsul und britische Regierungsvertreter, herein. Er erinnerte mich an meine Brüder, die ebenso wie er eine dicke Staublage britischer Respektabilität mit sich herumtrugen. Sein getrimmter Schnurrbart, der goldgefaßte Kneifer, die makellose Kleidung, die rundliche Statur – alles sprach von Fähigkeit, Zuverlässigkeit und langweiligem Trübsinn. Er hatte sich um die finanzielle Gesundung des Landes jedoch sehr große Verdienste erworben und war als der maßgebende Mann Ägyptens bekannt. Er war äußerst liebenswürdig und sagte mir jede nur denkbare Hilfe zu. Meinen Vater hatte er nicht persönlich, nur dem Ruf nach gekannt, so daß ich mir allmählich meinen Vater wie eine Spinne vorstellte, die in einem weltweiten Netz sitzt und an den Fäden zieht.
Wir planten unsere Abreise für Freitag, und am Donnerstag abend kam unser Besucher an. Die Unterhaltung mit ihm klärte einige Punkte, schuf aber viele neue Probleme, die gar nicht leicht zu lösen waren.
Ich hatte darauf bestanden, in die Halle hinabzugehen. Evelyn war den ganzen Tag über sehr nachdenklich und düsterer Stimmung gewesen, teils wegen ihres Großvaters, teils Walters wegen, der sich immer weiter von ihr entfernte. Die Emersons hatten eine Kabine auf einem Flußdampfer genommen, in der sie all ihre Vorräte unterbringen konnten. Sie selbst schliefen auf Deck bei der Mannschaft. Unwillkürlich stellte ich mir meine zarte Evelyn in einer solchen Umgebung vor und konnte nicht sehr bedauern, daß Walter entschwunden war.
Wir waren beide müde von der reichlichen Tagesarbeit, und ich glaube, ich habe ein wenig geschlummert, als mich Evelyns Ausruf weckte. Ich fürchtete schon, es könne wieder Alberto sein, und sprang auf, doch ihre Miene sprach eher von ungläubigem Staunen denn von Angst. Ein junger Gentleman kam rasch auf uns zu und streckte ihr lachend die Hände entgegen.
Ich dachte schon, jetzt wird sie ihm gleich um den Hals fallen, doch das tat sie nicht, sondern
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