Amelia Peabody 01: Im Schatten des Todes
mich, wenn du je wieder auf die Vergangenheit zurückkommst. Sie ist abgeschlossen – außer ich habe das Glück, einem gewissen Individuum eines Tages an einem abgelegenen Ort zu begegnen … Aber laß mich meine Erzählung zu Ende bringen. Du hast die traurigen Kapitel gehört, nun folgen die angenehmeren Dinge.
Nachdem die Trauerfeierlichkeiten für unseren Vorfahren abgeschlossen waren, machte ich mich auf die Suche nach dir. Und da bin ich nun und warte auf deine Einwilligung, unser Vermögen zu teilen. Ich kann es nicht mein Vermögen nennen, doch ich möchte, daß du Titel, Leben und Namen mit mir teilst.«
Er lehnte sich zurück und strahlte uns beide an wie ein jugendlicher Weihnachtsmann. Das war ein großzügiges Angebot, und es fiel mir nicht leicht, mein Urteil über den jungen Mann nicht umzustoßen. Trotzdem ging mir die Bedeutung des letzten Satzes erst nach einer Weile auf. »Sir«, rief ich, »soll das etwa ein Heiratsantrag sein?«
»Ich denke, anders lassen sich meine Worte nicht auslegen«, erwiderte er breit lachend.
Evelyn starrte uns entgeistert an, versuchte ein paarmal zu sprechen, räusperte sich einige Male und stotterte schließlich:
»Lucas, ddas kann ich nnicht glauben. Du kannst ddoch nicht mmeinen …«
»Warum nicht?« Er nahm ihre Hände in die seinen. »Evelyn, wir sind doch füreinander bestimmt. Vernunft und – wie ich hoffe – Zuneigung sollten uns zusammenführen. Ich weiß, daß du mich nicht liebst, daß dein Herz zaghaft und verwundet ist. Aber laß mich dir eine Zuflucht in meinem Herzen bieten! Laß mich dich lehren, mich so zu lieben, wie ich dich verehre!«
Seine dunklen Augen waren so voll Zärtlichkeit, daß ich nicht begriff, wie ein Mädchen ihm je widerstehen konnte. Aber Evelyn war doch stärker, als ich gedacht hatte.
»Lucas«, erwiderte sie leise, »dein Angebot bewegt mich zutiefst, und mein Leben lang will ich dich für deinen Edelmut verehren. Aber heiraten kann ich dich nicht. Deinetwegen nicht, Lucas, denn dich trifft die Kritik der Leute noch härter als mich. Ich will niemals heiraten. Ich trage ein Bild in mir …«
»Aber doch nicht dieser elende …!« rief Lucas empört.
»Nein, ganz gewiß nicht.«
»Das erleichtert mich. Liebste Evelyn, ich bin aber nicht entmutigt, denn eine so schnell aufgeflammte Zuneigung kann nicht von Dauer sein. Ich werde sie schon überwinden. Da du keine Eltern hast, wende ich mich an Miß Peabody und bitte um die Erlaubnis, so, wie es sich gehört, um dich werben zu dürfen.« Er legte dazu eine Hand aufs Herz und lachte mich an. Ich lachte ein wenig säuerlich zurück.
»Mein lieber Herr, ich kann Sie nicht daran hindern, die Gesellschaft Ihrer Kusine zu genießen, doch Sie werden sich beeilen müssen. Wir reisen nämlich morgen früh ab, den Nil entlang. Sie haben also nur ein paar Stunden Zeit, Ihren Anzug aufbügeln zu lassen.«
»Morgen schon? Oh! Natürlich denke ich nicht allzu bescheiden über meine Überredungskünste, jedoch …«
»Es tut mir leid, Lucas, ich werde meine Ansicht nicht ändern«, fiel ihm Evelyn ins Wort. »Und ich bedaure, daß ich deine Gesellschaft nicht mehr lange genießen kann.«
»Nein, Evelyn, darüber müssen wir noch reden. Ich bin ebenso stur wie du. Meine Hoffnungen gebe ich nicht auf. Liebes Mädchen, die Hälfte des Vermögens gehört dir, wenn auch gesetzlich nichts darüber festgelegt ist, und ich werde nie eine Heirat dazu benützen, etwas zu erzwingen … Deine Vermögenshälfte wird dir sofort nach unserer Rückkehr überschrieben. Du gehörst nach Hause; du kannst wohnen, wo du willst; wenn Dower House in Ellesmere dir nicht gefällt, suchen wir ein anderes …«
Evelyn schüttelte den Kopf. »Mein Großvater konnte über sein Vermögen bestimmen, wie er wollte. Ich kann nichts annehmen, was mir nicht gehört, Lucas, und gibst du es mir, dann gebe ich es zurück. Außerdem habe ich versprochen, den Winter mit Amelia zu verbringen. Eine Reisegefährtin hat sie schon im Stich gelassen, ich will nicht die zweite sein. Sie verläßt sich auf mich.«
»Dann im Frühling?«
»Ich verspreche gar nichts.«
»Ich verstehe, es wäre undankbar Miß Peabody gegenüber, sie jetzt zu verlassen. Der Winter in Ägypten ist an sich eine gute Idee. Du wirst dich an Körper und Geist erholen. Ich kann mir inzwischen für meine Freunde zu Hause eine gute Lüge ausdenken, wo ich war, denn die ist nötig. Deine Absage, meine liebe Kusine, nehme ich nicht als endgültig hin.
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