Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
rühren.«
Emerson reichte ihm sein Glas, und Vandergelt nickte ihm dankend zu, ehe er fortfuhr. »Wissen Sie, dieses verdammte Weib erwartet, daß ich sie nach all dem noch heirate. Sie fing an, mich übel zu beschimpfen, als ich ihr sagte, ich müsse mein Angebot mit allem Respekt zurückziehen. Ich fühlte mich wie ein Schuft, aber du meine Güte, eine Frau zu heiraten, die bereits einen Gatten ermordet hat, wäre purer Leichtsinn. Man würde sich immer fragen, ob der Frühstückskaffee nicht doch vielleicht merkwürdig schmeckt.«
»Es wäre auch unpraktisch, zwanzig oder dreißig Jahre zu warten, ehe man die Freuden der Ehe genießen kann«, fügte ich hinzu. »Kopf hoch, Mr. Vandergelt; die Zeit heilt alle Wunden, und ich weiß, daß eine glückliche Zukunft vor Ihnen liegt.«
Meine gutgewählten Worte erhellten die Miene des Amerikaners ein wenig. Elegant hob er sein Glas und prostete mir zu.
»Ich wollte gerade über Madame Berengerias Tod sprechen«, fuhr ich fort. »Wird es Sie zu sehr schmerzen, das mitanzuhören …«
»Noch einen Whiskey, dann würde es mich nicht einmal mehr schmerzen, wenn die Vereinigte Eisenbahngesellschaft um zwanzig Punkte gefallen wäre«, erwiderte Mr. Vandergelt. Er reichte Emerson sein leeres Glas. »Trinken Sie doch einen mit, Professor.«
»Ich glaube, das werde ich«, antwortete Emerson mit einem tückischen Blick auf mich. »Auf die Hinterlist des weiblichen Geschlechts.«
»Ich werde eurem Beispiel folgen«, sagte ich fröhlich. »Emerson, deine Scherze kommen manchmal zum falschen Zeitpunkt. Mr. O’Connell sitzt mit gezücktem Bleistift auf der Stuhlkante; also erkläre in deinen eigenen Worten die Bedeutung des kleinen Märchens, über das wir gestern abend gesprochen haben, und auch, warum diese scheinbar harmlose Geschichte einen Mord zur Folge hatte.«
»Ähem«, sagte Emerson. »Nun, wenn du darauf bestehst, Peabody.«
»In der Tat. Dafür kümmere ich mich um die Bar und bediene euch beide.« Ich nahm Vandergelt das leere Glas aus der Hand. Emerson lächelte mich verlegen an. Er ist so erschreckend einfach zu lenken, der arme Mann. Die kleinste freundliche Geste rührt ihn zu Tränen.
»Darf ich auch von Ihrem Angebot Gebrauch machen, Ma’am?« fragte O’Connell.
»Aber sicher«, antwortete ich. »Doch keinen Ihrer kühnen Annäherungsversuche an die Bardame, Mr. O’Connell.«
Dieser kleine Scherz sorgte für die gelöste Stimmung, die ich mich zu schaffen bemühte. Als ich die Herren bediente – einschließlich Karls, der mir mit einem Lächeln dankte –, ergriff Emerson das Wort.
»Madame Berengerias Tod war Ironie des Schicksals in Reinkultur, da die arme, dumme Frau nicht die geringste Absicht hatte, Lady Baskerville eines Mordes zu beschuldigen. Wie alle ehrbaren Frauen in Luxor, die in ihrer schier endlosen christlichen Güte ihre Zeit damit verbringen, ihre Geschlechtsgenossinnen durch den Kakao zu ziehen, kannte sie Lady Baskervilles Ruf. Die >Geschichte von den zwei Brüdern< war ein Seitenhieb gegen die Ehebrecherin, nicht die Mörderin. Und der hätte nicht besser sitzen können. Das Herz im Zedernbaum ist das Herz des Geliebten – verletzlich, offen, der Liebe einer Frau vertrauend. Wenn sich das Objekt der Bewunderung als Betrügerin erweist, hat der Geliebte keine Möglichkeit, sich zu verteidigen. Lord Baskerville vertraute seiner Frau. Selbst nachdem er aufgehört hatte, sie zu lieben, sah er keinen Grund, sich vor ihr zu schützen. Daß Madame Berengeria die Bedeutung des Gleichnisses verstand, ist einem schon seit langer Zeit verschütteten Funken von Intelligenz und Einfühlungsvermögen zu verdanken. Wer weiß, was aus ihr geworden wäre, wären die Laster dieser Welt nicht stärker gewesen als ihre Willenskraft.«
Ich sah meinen Gatten an, und Tränen der Zuneigung ließen meinen Blick verschwimmen. Wie oft wird Emerson von Menschen, die ihn nicht kennen, falsch beurteilt! Wie zart und sanft sind die Gefühle, die er hinter einer Maske der Wildheit verbirgt!
Emerson, der nichts von meinen Empfindungen ahnte, nahm einen ordentlichen Schluck Whiskey und fuhr in einem sachlicheren Ton fort: »Der erste Teil der Geschichte von den beiden Brüdern handelt von einer treulosen Gattin, die durch ihre Lügen einen Mann gegen den anderen ausspielt. Betrachten Sie, meine Herren, und auch du, Peabody, diese Geschichte nun im Zusammenhang mit unserem tragischen Dreiecksverhältnis. Wieder paßte das Gleichnis. Und Lady Baskervilles
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