Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
nachdem Baskerville zusammengebrochen war, und bereitete dann mit ihrer Hutnadel dem Leben seiner Lordschaft ein Ende. Aber – einen Moment mal – niemand hat etwas von einer Abschürfung auf Baskervilles Gesicht gesagt …«
»Dr. Dubois wäre es nicht einmal aufgefallen, wenn man dem Mann die Kehle durchgeschnitten hätte«, sagte ich. »Aber, um ihm nicht unrecht zu tun, er suchte nach der Todesursache, nicht aber nach einer kleinen Beule am Kiefer oder am Kinn. Außerdem scheint Lord Baskerville besonders begabt darin gewesen zu sein, sich selbst zu verstümmeln. Vermutlich hatte er Abschürfungen, Schnitte und Schrammen am ganzen Körper.«
»Gut.« O’Connell schrieb das nieder. »Also lief Armadale fort – vermutlich verkleidete er sich als Einheimischer und versteckte sich in den Hügeln. Ich bin überrascht, daß er nicht heimlich das Land verlassen hat.«
»Ohne seine Geliebte?« entgegnete ich. »Ich bezweifle, daß der Geisteszustand des jungen Mannes als normal bezeichnet werden konnte. Die entsetzliche Tat, die er seiner Meinung nach begangen hatte, brachte ihn um den Verstand, was es ihm unmöglich machte, in irgendeiner Weise vernünftig zu handeln. Falls er gestehen wollte, hinderte ihn wahrscheinlich der Gedanke daran, daß er dann auch die Frau, die er liebte, als Komplizin beschuldigen mußte. Aber als Lady Baskerville zurückkehrte, konnte er es nicht länger ertragen. Er kam nachts an ihr Fenster und wurde dabei von Hassan beobachtet. Der Dummkopf versuchte, Lady Baskerville zu erpressen – denn er hatte natürlich gesehen, welchem Fenster Armadale sich genähert hatte. Sie beseitigte beide in der nächsten Nacht. Armadale in der Höhle, wo sie sich mit ihm verabredet hatte, und Hassan auf dem Rückweg, als er sie abfing. Ich bin nicht überrascht, daß sie am Morgen so einen erschöpften Eindruck machte.«
»Aber was ist mit …«
»Jetzt ist es genug«, sagte ich und erhob mich. »Arthur hat mehr Aufregung gehabt, als er verkraften kann. Mary, bleiben Sie bei ihm und kümmern sich darum, daß er Ruhe bekommt? Sobald die gute Schwester aus ihrem wohlverdienten Schlaf aufgewacht ist, werde ich sie schicken, damit sie Sie ablöst.«
Als wir das Zimmer verließen, sah ich, wie Arthur nach Marys Hand griff. Mary errötete und senkte den Blick. Ich hatte alles so gut arrangiert, wie ich konnte, der Rest blieb den beiden überlassen. Ich wich Mr. O’Connells vorwurfsvollem Blick aus und ging voraus in den Salon.
»Es gibt immer noch offene Fragen«, sagte ich, während ich Platz nahm. »Ich wollte nicht, daß Mary mitanhört, wie wir den Tod ihrer Mutter erörtern,«
»Sehr richtig«, meinte Karl zustimmend. »Ich danke Ihnen, Frau Professor, für Ihre …«
»Es ist gut, Karl«, unterbrach ich ihn und fragte mich, wofür er mir dankte; allerdings kümmerte es mich nicht weiter.
Ehe ich fortfahren konnte, ging die Tür auf, und Mr. Vandergelt kam herein. Er sah aus, als sei er seit dem Vortag um einige Zentimeter geschrumpft. Niemand wußte, was er sagen sollte, bis Emerson, der sich zu höchsten Gipfeln des Taktgefühls emporschwang, wozu er bisweilen durchaus in der Lage ist, die richtigen Worte von sich gab.
»Los, Vandergelt, trinken Sie einen!«
»Sie sind ein wahrer Freund, Professor«, antwortete der Amerikaner mit einem langen Seufzer. »Ich glaube, das werde ich tun.«
»Hat sie Sie fortgeschickt, Mr. Vandergelt?« fragte ich mitfühlend.
»Mit Ausdrücken, die einem Bierkutscher die Schamesröte ins Gesicht treiben würden«, lautete die Antwort. »Sie hatte mich wirklich um den Finger gewickelt. Wahrscheinlich halten Sie mich jetzt alle für einen hirnverbrannten alten Esel.«
»Sie sind nicht der einzige, der getäuscht wurde«, versicherte ich ihm.
»Aber nein!« rief Karl aus. »Ich hegte für sie immer die achtungsvollsten, äußerst …«
»Genau deshalb habe ich Ihr Angebot, letzte Nacht mit mir Wache zu stehen, abgelehnt«, sagte Emerson, der am Tisch stand und dem unglückseligen Vandergelt einen Whiskey einschenkte. »Ihre Achtung vor der Dame hätte sie vielleicht daran gehindert, zu handeln, und wenn es nur für einen Sekundenbruchteil gewesen wäre; und dieser kurze Zeitraum hätte den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten können.«
»Und deswegen haben Sie mich selbstverständlich auch weggeschickt«, sagte Vandergelt bedrückt. »Ich sage Ihnen, Professor, wenn ich sie gesehen hätte, wäre ich zu verblüfft gewesen, um auch nur einen Finger zu
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