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Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes

Titel: Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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Grund, wahrscheinlich, weil die Umarmung des Kindes so heftig war, brachte ich einige Zeit kein Wort heraus.
    »Er ist ein Goldstück«, meinte Evelyn so stolz, als ob es ihr Kind wäre. »Die meisten Kinder sprechen nicht, ehe sie ein Jahr alt sind, aber dieser junge Mann hat schon einen gehörigen Wortschatz. Ich habe ihm jeden Tag eure Photos gezeigt.«
    Emerson stand da und sah mich mit einem eigenartig niedergeschlagenen Ausdruck an. Das Kind lockerte seinen Würgegriff und riß sich – angesichts meiner späteren Erfahrungen kann ich das nur als kaltblütige Berechnung bezeichnen – von mir los. Dann sprang es durch die Luft auf meinen Mann zu.
    »Papa«, sagte der Kleine.
    Emerson fing ihn auf. Einen Moment lang sahen sie einander mit einem tatsächlich identischen, dümmlichen Grinsen an. Dann warf Emerson das Baby in die Luft. Es kreischte entzückt, also warf er es wieder hoch. Evelyn tadelte ihn, als der Kopf des Kindes vor lauter väterlichem Übermut die Decke streifte. Ich sagte nichts. Mit einem seltsamen Gefühl der Vorahnung wußte ich, daß ein Krieg begonnen hatte – eine lebenslange Schlacht, in der ich von vorneherein zum Scheitern verurteilt war.
    Emerson gab dem Baby seinen Spitznamen. Er sagte, es ähnele wegen seines kriegerischen Auftretens und seiner Neigung zur Herrschsucht sehr einem ägyptischen Pharao, und zwar dem zweiten Träger dieses Namens, der entlang des Nils riesenhafte Statuen von sich hatte aufstellen lassen. Ich mußte zugeben, daß eine gewisse Ähnlichkeit bestand. Ganz sicherlich hatte das Kind nichts mit seinem Namenspatron, Emersons Bruder, gemein, der ein sanftmütiger, stiller Mensch ist.
    Obwohl Walter und Evelyn uns drängten, bei ihnen zu wohnen, beschlossen wir, uns für den Sommer ein eigenes Haus zu mieten. Ganz offensichtlich hatten die Kinder von Emersons jüngerem Bruder eine Heidenangst vor ihrem Vetter. Sie konnten dem aufbrausenden Temperament und den leidenschaftlichen Liebesbekundungen, die bei Ramses häufig vorkamen, nichts entgegensetzen. Wie wir feststellten, war er hochintelligent. Seine körperlichen Fähigkeiten entsprachen seinen geistigen. Mit acht Monaten konnte er in einem erstaunlichen Tempo krabbeln. Als er mit zehn Monaten beschloß, laufen zu lernen, war er in den ersten Tagen ein wenig unsicher auf den Beinen; und einmal hatte er Abschürfungen an der Nasenspitze, der Stirn und am Kinn, denn Ramses machte keine halben Sachen – er fiel hin, stand auf und fiel wieder. Allerdings lernte er es bald, und danach war er nicht mehr zu halten, außer wenn ihn jemand in den Arm nahm. Inzwischen sprach er schon recht flüssig, abgesehen von der ärgerlichen Neigung zu lispeln, was ich auf die außergewöhnliche Größe seiner Schneidezähne zurückführte, die er von seinem Vater geerbt hatte. Außerdem hatte er aus derselben Quelle eine Eigenschaft übernommen, die ich nur schwer beschreiben kann, da es in der Sprache kein Wort gibt, das drastisch genug ist, um ihr Rechnung zu tragen. »Sturheit« trifft die tatsächlichen Verhältnisse bei weitem nicht.
    Von Anfang an war Emerson von dem kleinen Geschöpf hingerissen. Er nahm das Kind mit auf lange Spaziergänge, las ihm stundenlang vor, nicht nur aus Peter Rabbit und anderen Kinderbüchern, sondern aus Ausgrabungsberichten und der Geschichte des alten Ägypten, die er gerade verfaßte. Mit anzusehen, wie Ramses mit vierzehn Monaten über einem Satz wie »In der ägyptischen Theologie wirkten Fetischismus, Totemismus und Synkretismus ineinander« nachgrübelte, war gleichzeitig beängstigend und komisch. Gelegentlich nickte das Kind dabei nachdenklich.
    Nach einiger Zeit hörte ich auf, Ramses im Geiste als Neutrum zu bezeichnen. Seine Männlichkeit war nur zu offensichtlich. Als der Sommer zu Ende ging, begab ich mich eines Tages zum Immobilienmakler und teilte ihm mit, wir würden das Haus für ein weiteres Jahr behalten. Kurz danach sagte mir Emerson, er habe eine Dozentenstelle an der Universität von London angenommen.
    Es bestand nie die Notwendigkeit, das Thema zu erörtern. Wir konnten einem kleinen Kind nicht die Verhältnisse eines Ausgrabungslagers zumuten, und Emerson würde es nicht ertragen, sich von dem Jungen zu trennen. Und meine Gefühle? Die zählten nicht weiter. Diese Entscheidung stellte die einzig vernünftige Lösung dar, und ich bin immer vernünftig.
    Also vegetierten wir vier Jahre später immer noch in Kent dahin. Wir hatten beschlossen, das Haus zu kaufen. Es war

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