Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
Also sagte ich nichts über seine schmutzigen Stiefel.
»Ich hatte heute nachmittag Lady Harold eingeladen«, sagte ich als Antwort auf seine Frage. »Deshalb das Kleid. Hattest du einen schönen Tag?«
»Nein.«
»Ich auch nicht.«
»Geschieht dir recht«, meinte mein Mann. »Ich habe dich doch gewarnt. Wo zum Teufel steckt Rose? Ich will meinen Tee.«
Pünktlich erschien Rose mit dem Teetablett. Ich dachte traurig über die tragische Veränderung nach, die mit Emerson vorgegangen war. Wie jeder ganz normale Engländer verlangte er ärgerlich nach seinem Tee und jammerte über das Wetter. Sobald sich die Tür hinter dem Mädchen geschlossen hatte, kam Emerson zu mir und nahm mich in die Arme.
Nach einiger Zeit hielt er mich von sich weg und sah mich fragend an. Er rümpfte die Nase.
Ich wollte ihm schon die Ursache des Gestanks erklären, als er mit leiser, belegter Stimme sagte: »Du siehst trotz des schrecklichen Kleides heute abend besonders aufregend aus, Peabody. Möchtest du dich nicht umziehen? Ich komme mit dir nach oben, und …«
»Was ist denn los mit dir?« wollte ich wissen, doch er … Ganz gleich, was er tat, aber auf jeden Fall hinderte es ihn am Sprechen und erschwerte es mir, mich zusammenhängend auszudrücken. »Ich fühle mich ganz und gar nicht aufregend, und ich stinke wie ein verschimmelter Knochen. Ramses hat wieder einmal Ausgrabungen im Komposthaufen veranstaltet.«
»Hmmm«, sagte Emerson. »Meine geliebte Peabody …«
Peabody ist mein Mädchenname. Als Emerson und ich uns kennenlernten, verstanden wir uns überhaupt nicht. Er gewöhnte sich an, mich wie einen Mann beim Familiennamen anzusprechen – zum Zeichen seines Ärgers. Inzwischen bedeutete das etwas völlig anderes und erinnerte uns an jene ersten Tage unserer Verliebtheit.
Freudig gab ich mich seiner Umarmung hin. Aber ich war trotzdem traurig, weil ich den Grund für seinen Überschwang kannte. Der Geruch von Ramses’ Knochen hatte ihn an die Anfänge unserer romantischen Liebesgeschichte in den unhygienischen Gräbern von El Amarna erinnert.
Ich wollte schon in seine Bitte einwilligen, daß wir uns in unser Zimmer zurückzogen. Aber wir hatten zu lange gewartet. Der allabendliche Ablauf war unverrückbar festgesetzt. Man ließ uns immer einen angemessenen Zeitraum, um allein zu sein, nachdem Emerson nach Hause zurückkehrte. Dann durfte Ramses hereinkommen, seinen Vater begrüßen und mit uns Tee trinken. An jenem Abend brannte der Junge darauf, den Knochen vorzuzeigen, und deswegen kam er vielleicht früher als sonst. Jedenfalls kam es mir zu früh vor, und selbst Emerson, der den Arm immer noch um meine Taille liegen hatte, begrüßte den Jungen nicht mit der üblichen Begeisterung.
Emerson nahm seinen Sohn samt Knochen auf den Schoß, und ich setzte mich auf das Sofa. Nachdem ich eine Tasse Tee für meinen Gatten eingeschenkt und meinem Sohn eine Handvoll Kekse verabreicht hatte, griff ich nach der Zeitung. Währenddessen stritten sich Emerson und Ramses über den Knochen. Es war ein Oberschenkelknochen – in diesen Dingen bewies Ramses eine fast unheimliche Zielsicherheit –, doch Emerson behauptete, er habe einst einem Pferd gehört. Ramses war da anderer Ansicht. Da ein Rhinozeros nicht in Frage kam, schwankte er zwischen einem Drachen und einer Giraffe.
Die Fortsetzung des Berichts, nach dem ich in der Zeitung suchte, stand nicht – wie die vorangegangenen Folgen – auf der ersten Seite. Ich glaube, am besten erzähle ich, was ich damals von dem Fall wußte, so als würde ich einen Roman beginnen; ich selbst hätte die Geschichte – wäre sie nicht auf den ehrwürdigen Seiten der Times erschienen – für eines der genialen Phantasiegebilde aus der Feder von Herrn Ebers oder Mr. Rider Haggard gehalten, nach deren Romanen ich eingestandenermaßen süchtig war. Üben Sie sich deshalb in Geduld, werter Leser, wenn wir mit einer nüchternen Wiedergabe von Tatsachen beginnen, und ich verspreche Ihnen, daß Sie zum angemessenen Zeitpunkt zu Ihrem Nervenkitzel kommen werden.
Sir Henry Baskerville (von den Norfolk-Baskervilles, nicht dem Devonshire-Zweig der Familie) hatte nach einer schweren Krankheit von seinem Arzt den Rat erhalten, einen Winter im gesundheitsfördernden Klima Ägyptens zu verbringen. Weder der ausgezeichnete Mediziner noch sein wohlhabender Patient hätten voraussehen können, welche weitreichenden Konsequenzen dieser Rat haben würde; denn als Sir Henry den ersten Blick auf die
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