Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
vergessen hatte, kam nun zurück; doch noch ehe ich Zeit hatte, mehr als einen Anflug von Beunruhigung zu empfinden, fuhr er flüsternd fort: »Da ist jemand im Gebüsch. Ich habe gesehen, daß sich etwas bewegt hat …«
Ich nahm seine Hand von meinem Mund. »Das ist nur Abdullah. Ich war nicht so leichtsinnig, allein zu kommen. Aber er hat nicht mitgehört …«
»Nein, nein.« Arthur erhob sich, und ich dachte schon, er würde ins Gebüsch stürmen. Doch gleich darauf entspannte er sich wieder. »Es ist weg. Aber es war nicht Abdullah, Mrs. Emerson. Die Gestalt war zierlicher und kleiner – bekleidet mit durchscheinenden, schneeweißen Gewändern.«
Ich hielt den Atem an. »Die Frau in Weiß«, keuchte ich.
Ehe wir uns trennten, bat ich Arthur um die Erlaubnis, Emerson seine Geschichte erzählen zu dürfen. Er stimmte zu, wahrscheinlich, weil ihm klar war, daß ich es mit oder ohne seine Billigung tun würde. Mein Vorschlag, er solle am nächsten Tag nach Luxor fahren, um seine wahre Identität zu gestehen, wurde abgelehnt, und nach einer kurzen Erörterung mußte ich zugeben, daß sein Einspruch berechtigt war. Die richtigen Adressaten für diese Nachricht waren selbstverständlich die britischen Behörden, und in Luxor gab es niemanden, dessen Rang hoch genug gewesen wäre, um sich mit einer solchen Angelegenheit zu befassen. Der Konsulatsvertreter war Italiener und beschäftigte sich hauptsächlich damit, Budge vom Britischen Museum mit gestohlenen Antiquitäten zu versorgen. Arthur versprach, er werde sich Emersons Entscheidung, welche Schritte er unternehmen solle, beugen, und ich versicherte, ihm zu helfen, wie ich nur konnte.
Es heißt, ein Geständnis ist wohltuend für die Seele. Ganz offensichtlich hatte ich Arthurs Seelenfrieden wiederhergestellt. Mit schwingendem Schritt ging er leise pfeifend davon.
Doch, ach, mein Herz war schwer, als ich mich aufmachte, um dem treuen Abdullah mitzuteilen, daß ich in Sicherheit sei. Ich mochte den jungen Mann – nicht weil er, wie Emerson behauptet, ein gutaussehendes Exemplar englischer Männlichkeit darstellte, sondern wegen seiner Freundlichkeit und seines angenehmen Wesens. Trotzdem machten gewisse Züge seines Charakters keinen allzu guten Eindruck auf mich, denn sie erinnerten mich an seine Beschreibung des charmanten Taugenichts’, der sein Erzeuger gewesen war. Die Leichtfertigkeit, die er angesichts der gefälschten Empfehlungsschreiben an den Tag gelegt hatte, die unreife Torheit seines romantischen Plans, das Wohlwollen seines Onkels zu gewinnen, und auch andere Dinge, die er erzählt hatte, wiesen darauf hin, daß der gute Einfluß seiner Mutter die von der Vaterseite ererbte Oberflächlichkeit nicht hatte wettmachen können. Ich wünschte ihm alles Gute; aber ich befürchtete, seine durchaus glaubhafte Geschichte könnte nur ein Versuch gewesen sein, mich auf seine Seite zu ziehen, ehe die Wahrheit ans Licht kam.
Ich fand Abdullah (mehr oder weniger) verborgen hinter einer Palme. Als ich ihn nach der Erscheinung in Weiß befragte, bestritt er, eine solche gesehen zu haben. »Aber«, fügte er hinzu, »ich habe dich beobachtet, oder vielmehr die Finsternis, in die du verschwunden bist; nie habe ich meinen Blick abgewendet. Sitt Hakim, es ist nicht notwendig, Emerson etwas zu erzählen.«
»Sei doch nicht so ein Feigling, Abdullah«, antwortete ich. »Ich werde sagen, daß du dein Bestes getan hast, um mich zurückzuhalten.«
»Schlag mich bitte kräftig auf den Kopf, damit ich eine Beule habe, die ich ihm zeigen kann.«
Unter normalen Umständen hätte ich das für einen Scherz gehalten, doch obwohl Abdullah ziemlich viel Sinn für Humor hat, hätte er nie über so etwas gescherzt.
»Sei doch nicht lächerlich«, sagte ich.
Abdullah stöhnte.
Ich konnte es kaum erwarten, Emerson zu erzählen, daß ich den Mord an Lord Baskerville aufgeklärt hatte. Selbstverständlich gab es ein paar Kleinigkeiten, die noch offenstanden, aber ich war mir sicher, daß ich die Antwort bald finden würde, wenn ich mich ernsthaft der Angelegenheit widmete. Ich beabsichtigte, noch in dieser Nacht mit der Arbeit anzufangen, doch leider schlief ich ein, ehe ich zu irgendwelchen Ergebnissen kam.
Beim Aufwachen war mein erster Gedanke die erneute Sorge um Emerson. Aber meine Vernunft sagte mir, daß das ganze Haus schon auf den Beinen gewesen wäre, wenn es einen Zwischenfall gegeben hätte; die Liebe jedoch, die nie besonders anfällig für Logik ist,
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