Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
die selbst ich nur teilweise verstehen konnte.
Ich war nicht der einzige Zuschauer, denn mittlerweile hatten sich noch einige andere Frühaufsteher auf der Hotelterrasse versammelt. Am liebsten hätte ich verschwiegen, daß mich verwandtschaftliche Bande mit diesem kleinen Dreckspatz verbanden, aber als ich erkannte, daß der größere Junge, der mit der Mißgeburt aus einer Verbindung zwischen Engländer und Kamel verglichen worden war, Anstalten machte, auf Ramses loszugehen, beschloß ich einzugreifen.
»Ramses!« rief ich laut.
Jeder, der sich in Hörweite befand, wandte sich um und starrte mich an. Wahrscheinlich haben sich alle gefragt, wie eine englische Lady dazu kam, in aller Frühe den Namen eines Pharaos laut über die Terrasse von Shepheard’s Hotel zu rufen.
Während Ramses hinter einem kleinen Esel hervorkam, trat ihm sein Widersacher mit erhobenen Fäusten entgegen, doch im selben Augenblick sprang eine wild fauchende Bastet den ägyptischen Knaben an, der das Gleichgewicht verlor und in einer größeren Staubwolke zu Boden ging. Noch bevor sich der Staub gesetzt hatte, erreichten Ramses und Bastet unbehelligt die Terrasse, und wir zogen uns schweigend ins Hotel zurück.
Emerson frühstückte gerade genüßlich, als wir ins Zimmer traten. »Guten Morgen, meine Lieben«, rief er uns entgegen. »Was habt ihr denn so früh am Morgen gemacht?«
Bastet ließ sich nieder und begann, ihr Fell zu reinigen. Das veranlaßte mich, Ramses seinem Vater in die Arme zu schubsen mit dem klaren Befehl: »Wasche ihn, bitte!«
Als sie hinausgingen, hörte ich, wie Ramses erklärte: »Ich wollte unbedingt aufprobieren, wie gut meine Umgangffprache ift, Papa!«
»Wunderbar, mein Junge. Ganz ausgezeichnet!« hörte ich Emerson antworten.
Nach dem Frühstück wandten wir uns unseren Pflichten zu. Emerson wollte de Morgan wegen der Grabungsgenehmigung für Dahschûr aufsuchen, und ich hatte dringende Besorgungen zu erledigen, außerdem mußte ich Ramses beaufsichtigen – und die Katze, denn Ramses wollte keinen Schritt ohne sie tun. Ich hatte nachgegeben, weil ich ohnehin eine richtige Lederleine für Bastet besorgen wollte.
Bis zum Eingang des Basars ließen wir uns von einer Kalesche bringen, doch in dem Gewimmel der engen Gassen konnte man nur zu Fuß weiterkommen. Auf meinen Vorschlag hin nahm Ramses die Katze auf die Schulter, was ohnehin ihre Lieblingsposition war. Unser erster Weg führte uns in das Viertel der Lederhandwerker, wo wir zwei Leinen für die Katze erstanden. Die eine war einfach und sehr solide gearbeitet, die andere dagegen leuchtend rot und mit Skarabäen und imitierten Türkisen besetzt. Ich war etwas erstaunt über den schlechten Geschmack, den Ramses bei diesem Einkauf bewies, aber ich hielt die Angelegenheit nicht für so wichtig, als daß wir darüber hätten diskutieren müssen.
Anschließend erledigte ich meine Einkäufe – Medikamente, Werkzeuge, Seile und unzählige andere Ausrüstungsgegenstände, was ziemlich viel Zeit in Anspruch nahm, denn ohne ausgiebiges Feilschen, einen Kaffee und den Austausch von Höflichkeiten ging es in keinem Laden ab. Der Vormittag war schon fast vorbei, aber da ich noch eine Sache erledigen mußte, fragte ich Ramses, ob er Hunger hätte. Doch ich hätte mir die Frage sparen können, denn ich sah gerade noch, wie er sich ein von Honig triefendes Stück Gebäck in den Mund schob. Der Honig war auf Jacke und Hose getropft, was den zahlreichen Fliegen nicht entgangen war.
»Woher hast du das?« fragte ich.
»Von ihm«, sagte Ramses und deutete auf einen Händler, der ein großes Blech dieser Köstlichkeiten auf dem Kopf balancierte und mir, von Fliegen umschwirrt, ein zahnloses Lächeln schenkte und respektvoll grüßte.
»Habe ich dir nicht gesagt, daß du nichts essen sollst, bevor ich es dir ausdrücklich erlaube?« fragte ich.
»Nein«, meinte Ramses.
»Oh! Dann tue ich es hiermit.«
»Ist in Ordnung«, meinte Ramses und wischte sich die klebrigen Finger an seiner Hose ab, was den Fliegen nur recht war.
Hintereinander gingen wir durch eine schmale Gasse und erreichten einen kleinen Platz mit einem öffentlichen Brunnen, um den einige Frauen in schwarzen, langen Gewändern versammelt waren. Der Anblick von Ramses mit der Katze an der roten Leine amüsierte sie. Sie kicherten und deuteten, und einige hoben sogar den Schleier, um besser sehen zu können.
»Wohin gehen wir eigentlich?« fragte Ramses.
»Zu einem Antiquitätenhändler. Ich
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