Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
von beiden Pyramiden allerdings nicht mehr als ein Kalksteinhaufen in der Wüste übrig. Bisher hatte niemand sich die Mühe gemacht, dort zu graben, weil es offenbar nicht mehr viel zu erforschen gab.
»Außerdem gibt es noch einige ältere Friedhöfe«, sagte Emerson. Aber er sagte das Wort >ältere< mit einer so traurigen Betonung, als wäre es eine Beleidigung. Für Emerson war nur von Interesse, was älter war als 1500 v. Chr., und diese Friedhöfe stammten wahrscheinlich aus der römischen Epoche oder aus der Ptolemäerzeit, bedeuteten also nur Zeitverschwendung für ihn.
Obwohl ich auch sehr niedergeschlagen war, sah ich doch noch eine positive Seite. »Vieleicht finden wir Papyri«, sagte ich fröhlich. »Erinnerst du dich an die Papyri, die Mr. Petrie in Hawara gefunden hat?«
Zu spät fiel mir ein, daß dieser Name ein rotes Tuch für Emerson war. Er stach wütend mit der Gabel auf seinen Fisch ein, als ob er Mr. Petrie vor sich auf dem Teller hätte.
»Er hat mich angelogen«, brummte Emerson, »denn sein Manuskript war noch lange nicht fertig. Wußtest du das, Amelia?«
Natürlich wußte ich es, denn er hatte es mir mindestens fünfzehnmal erzählt. Er brütete eine Weile vor sich hin und sagte schließlich: »Das hat de Morgan mit Absicht getan, Peabody! Er hat Spaß daran, mich ganz in der Nähe zu wissen, wo ich täglich Nachricht von seinen bedeutenden Entdeckungen erhalte, während ich selbst mich mit römischen Mumien herumschlagen muß.«
»Dann lehne Mazghunah doch ab und verlange ein anderes Gebiet.«
Emerson dachte längere Zeit nach und sah zunehmend zufriedener aus. Schließlich kräuselte sogar ein Lächeln seine hübsch geformten Lippen. Ich war ganz sicher, daß er etwas im Schilde führte.
Schließlich sprach Emerson. »Ich werde Mazghunah annehmen und hoffe, daß du nichts dagegen hast, Peabody. Vor einigen Jahren bin ich einmal dort gewesen, kann also mit Sicherheit sagen, daß es sich bei den Resten eindeutig um Pyramiden handelt. Der Oberbau ist völlig verschwunden, aber es gibt sicher Gänge und Kammern unter der Erde. Etwas Besseres können wir nicht bekommen, denn Firth hat Sakkâra, und in Gizeh kann man wegen der vielen Fremden kaum arbeiten.«
»Ich habe nichts dagegen, Emerson, denn >wo du hingehst, da werde auch ich …< Ich hoffe nur, daß du nicht irgendwelche Anschläge auf de Morgan planst?«
»Wie kommst du nur auf solche Ideen, meine Liebe?« fragte Emerson. »Im Gegenteil, ich werde dem Herrn selbstverständlich meine fachliche Hilfe anbieten und mein großes Wissen, falls sich die Gelegenheit dazu bieten sollte. Ich bin entschlossen, ihm auch die andere Wange hinzuhalten …«
Er brach ab, als er meinen skeptischen Blick bemerkte, und dann brach er in ohrenbetäubendes Gelächter aus, daß Geschirr und Gläser erzitterten. Ich konnte diesem ansteckenden Gelächter nicht lange widerstehen. Ramses beobachtete uns mit mildem Lächeln wie ein abgeklärter Philosoph. Später, als wir bereits wieder in unserem Zimmer waren, entdeckte ich, daß mein Sohn die günstige Gelegenheit ausgenützt hatte, um seinen Fisch unter seinem Hemd zu verstecken. Bastet war von dem Geschenk sehr angetan.
3. Kapitel
Natürlich war ich tief enttäuscht, aber ich bemühte mich, meine Gefühle vor Emerson zu verbergen. Eigentlich war klar, daß de Morgan wieder in Dahschûr würde arbeiten wollen, nachdem er bereits im letzten Jahr dort begonnen hatte. Vielleicht hätte man mit äußerst taktvollem Vorgehen etwas erreichen können, aber genau das war nicht Emersons Stärke. Wahrscheinlich hatte er einfach verlangt, Dahschûr zugewiesen zu bekommen.
De Morgan hatte sicher nachdenklich seinen üppigen Schnurrbart gestreichelt. » Mais, mon cher collègue, c’est impossible. Ich werde in diesem Jahr in Dahschûr arbeiten.«
Daraufhin hatte Emerson sicher wütend auf den Tisch geschlagen, bevor er einsehen mußte, daß es keine andere Möglichkeit gab.
Ich durchwühlte alle Fachbücher nach Angaben über Mazghunah, konnte aber kaum etwas finden. Falls es dort wirklich Pyramiden gab, war diese Tatsache jedoch weitgehend unbekannt. Ich traute de Morgan glatt zu, daß er die Pyramiden nur erfunden hatte, um Emerson zu verhöhnen, und ich war froh, daß Emerson sie mit eigenen Augen gesehen haben wollte.
Seit ich mich bei meiner ersten Ägyptenreise in die geheimnisvollen Kammern und Gänge verliebt hatte, träumte ich davon, eines Tages ein solches Gebilde zu erforschen, aber
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