Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
meine Schulter. »Nicht de Morgan! Peabody! Das tust du mir nicht an, oder?«
»Traust du mir das zu?« De Morgan hatte sich höflich entschuldigt, er war bereits eingeladen. »Nein, aber ich habe erfahren, daß die Istar und die Sieben Hathors im Hafen liegen.«
»Oh. Also Sayce und Wilberforce«, sagte Emerson, und ich spürte seinen Atem in meinem Nacken. »Was findest du nur an ihnen? Der eine ist ein dilettantischer Kirchenmann und der andere ein abtrünniger Politiker …«
»Beide sind ausgezeichnete Gelehrte. Reverend Sayce soll den neuen Lehrstuhl für Assyriologie in Oxford erhalten.«
»Es sind und bleiben Dilettanten«, wiederholte Emerson. »Sie segeln mit ihren Dahabijes den Nil hinauf und hinunter, statt wie anständige Leute zu arbeiten.«
Emerson und ich seufzten fast gleichzeitig, worauf er wieder seine Arbeit unterbrach und mich über die Schulter im Spiegel ansah. »Vermißt du dein Schiff, Peabody? Falls es dir Freude …«
»Nein, nein, mein lieber Emerson. Es hat mir sehr gut gefallen, das gebe ich ja gern zu, aber ich möchte nichts mehr gegen unsere gemeinsame Arbeit eintauschen!«
Nach einigen weiteren Anstrengungen war Emerson endlich fertig. Ich drehte mich um und bat um seine Meinung.
»Ich mag dieses Kleid, und die rote Farbe steht dir ausgezeichnet, Peabody!«
Ich drehte mich zum Spiegel und betrachtete mich. »Nicht zu auffällig für eine ältere Frau wie mich? Nein? Also gut, ich vertraue deinem Urteil, Emerson.« Dann legte ich mir noch die goldene Kette um, an der ein Skarabäus von Thutmosis III. hing – ein Geschenk, das mir Emerson vor einigen Jahren gemacht hatte.
Als John und Ramses erschienen, war auch Emerson fast fertig. Er sah in seinem Abendanzug aufregend gut aus, was Ramses auch sofort zu einem begeisterten Kommentar veranlaßte.
»Du fiehft wirklich toll auf, Papa!« sagte er bewundernd. »Ich möchte allerdingf keinen folchen Anzug haben, der ift zu empfindlich.«
Wir bestellten das Abendessen für John und Ramses in unser Zimmer und gingen nach unten, um unsere Gäste zu begrüßen. Das Essen war nicht gerade ein rauschender Erfolg, denn Emerson war nicht recht in Stimmung. Für Mr. Wilberforce empfand er wenigstens eine Art von Respekt, in dem auch immer ein wenig Neid mitschwang. Aber Reverend Sayce weckte seine niedrigen Instinkte. Man konnte sich keinen größeren Gegensatz vorstellen als zwischen dem breitschultrigen, großen Emerson und dem schmalen, mausgesichtigen Reverend mit der randlosen Brille in seinem langen, schwarzen Gewand.
Wilberforce trug den Spitznamen >Vater des Bartes< und war eher ein ruhiger, etwas phlegmatischer Mensch. Emerson hatte es bereits vor einiger Zeit aufgegeben, ihn herauszufordern, weil er nicht reagierte und sich höchstens über den gewaltigen, weißen Bart strich. Beide begrüßten uns mit der üblichen Höflichkeit und gaben ihrem Bedauern Ausdruck, daß sie nicht die Freude haben würden, unseren Sohn Ramses kennenzulernen.
»Wie immer, sind Sie ja bestens informiert«, stellte ich fest. »Wir sind erst gestern angekommen!«
»Die Gemeinde der Ägyptologen ist nur klein«, meinte Wilberforce lächelnd, »und es ist ganz natürlich, daß man füreinander Interesse zeigt.«
»So?« brummte Emerson, der sich offenbar vorgenommen hatte, schlechte Laune zu haben. »Das Privatleben meiner Kollegen interessiert mich nicht, und die wissenschaftliche Arbeit ist manchmal auch nicht der Rede wert.«
Um Emersons Entgegnung die Spitze zu nehmen, erkundigte ich mich nach Mrs. Wilberforce, die ich natürlich ebenfalls eingeladen hatte, die aber – wie immer – abgesagt hatte. Sie mußte wirklich sehr leidend sein, die Ärmste. Aber mein Versuch, die Woge zu glätten, war nicht sehr erfolgreich.
Reverend Sayce nahm den Fehdehandschuh auf. »Da Sie die wissenschaftliche Arbeit erwähnen, möchte ich Sie fragen, wo Sie in diesem Jahr arbeiten werden, Professor? Unser Freund de Morgan verspricht sich gute Ergebnisse in Dahschûr.«
Als ich sah, wie sich Emersons Miene verfinsterte, versetzte ich ihm einen gezielten Tritt gegen das Schienbein. Noch bevor er sich von seinem Schmerz erholt hatte, sagte ich: »In Mazghunah. Wir werden die Pyramiden erforschen.«
»Pyramiden?« Wilberforce war zu höflich, um einer Dame zu widersprechen, aber er sah sehr ratlos aus. »Ich kenne diesen Ort zwar nicht, aber ich glaubte, alle bekannten Pyramiden zu kennen.«
»Es handelt sich um noch unbekannte Pyramiden«, erklärte ich.
Als
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