Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
hatte. Hamid gehörte also zu den Bekehrten! Als er mich erkannte, besaß er die Frechheit, mich zu grüßen. Schließlich kam auch John, der sehr erhitzt aussah, und stürzte auf mich zu. »Der Gottesdienst hat sehr lang gedauert, Madam.«
»Das habe ich bemerkt. Wo ist Ramses?«
»Gerade war er noch da«, sagte er vage. »Madam, sie haben mich eingeladen, mit ihnen zu Mittag zu essen. Bitte, darf ich bleiben?«
Ich wollte gerade ablehnen, aber ich vergaß meine Rede, als ich die Gruppe erblickte, die geradewegs auf mich zukam. Bruder David, der wieder wie ein junger Heiliger aussah, führte eine Dame am Arm, nun, dieselbe Dame, mit der ich ihn schon in Shepheard’s Hotel gesehen hatte! An diesem Morgen trug sie ein Gewand aus tiefvioletter Seide, aus dessen Jackenausschnitt ein gewaltiger Chiffonschal hervorquoll. Auf dem passenden Hut tummelten sich nicht nur Federn und Blumen, sondern auch einige ausgestopfte Vögelchen.
Der Dritte im Bunde war Ramses, den die Dame an der Hand führte. Er sah so unschuldig drein, wie nur Ramses es konnte, wenn er gerade bestimmte Pläne ausheckte. Außerdem war er von oben bis unten staubig. Ich glaube, Ramses ist der einzige Mensch, den ich kenne, der sich auch noch während eines frommen Kirchgangs schmutzig macht!
Als die Gruppe bei meinem Stein angekommen war, sprachen alle drei auf einmal. Ramses begrüßte mich, Bruder David beklagte, daß ich dem Gottesdienst nicht beigewohnt hätte, und die komische Dame schrillte in den höchsten Tönen. Sie sprach ein sehr mit deutschem Akzept durchsetztes Englisch. »Welche Überraschung! Sie sind die berühmte Frau Emerson, nicht?«
»Darf ich Ihnen die Baronin von Hohensteinbauergrunewald vorstellen?« fragte Bruder David höflich. »Sie ist …«
»Eine große Verehrerin der berühmten Frau Emerson!« schrie die Baronin, während sie meine Hand nahm und drückte. »Und natürlich auch Ihres verehrten Gatten, nicht? Welch ein entzückendes, liebes Kind! Ich bestehe darauf, daß Sie mich besuchen. Meine Dahabije liegt in Dahschûr, wo ich mir gerade die Pyramiden ansehe. Ich unterhalte die berühmten Archäologen und sammle Antiquitäten. Ich möchte Sie und Professor Doktor Emerson für heute abend zum Diner einladen. Einverstanden?«
»Vielen Dank, Baronin«, sagte ich, »aber ich fürchte …«
»Haben Sie schon eine andere Verabredung?« Die kleinen schmutzig braunen Augen der Baronin zwinkerten, und sie schubste mich vertraulich. »Nein, natürlich haben Sie keine andere Verabredung. Was könnten Sie in dieser einsamen Gegend auch tun? Sie werden also kommen, nicht? Ein Abendessen für berühmte Archäologen! Bruder David wird auch kommen.« Der junge Mann nickte lächelnd, und die Baronin fuhr fort: »Ich bleibe nur drei Tage in Dahschûr, weil ich noch andere Orte längs des Flusses besichtigen will. Sie müssen also heute kommen. Außerdem möchte ich dem berühmten Professor Emerson gern meine Sammlung zeigen. Ich besitze Mumien, Skarabäen, Papyri …«
»Papyri?« rief ich elektrisiert.
»Ja, eine ganze Menge. Werden Sie kommen? Ich werde den kleinen Ramses schon jetzt mitnehmen, denn er möchte gern meine Dahabije besichtigen. Heute abend können Sie ihn dann wieder mitnehmen. Gut?«
Ich blickte Ramses fragend an. Er klatschte in die Hände. »Ach, bitte, Mama! Darf ich die Dame begleiten?«
»Du bist so schmutzig …« begann ich.
Die Baronin winkte ab. »So ein kleiner Junge muß schmutzig sein, nicht? Ich werde gut auf ihn achtgeben, denn ich bin auch eine Mutter.« Sie verwuschelte die Locken meines Sohnes, was dieser jedoch absolut nicht leiden konnte, doch ich wartete vergeblich auf seinen Protest, was mein Mißtrauen nur noch verstärkte.
Bevor ich noch weitere Einwände machen konnte, brach die Baronin auf und flüsterte noch verschwörerisch: »Oje, da kommt der Pfarrer! Er redet soviel. Ich gehe lieber, denn ich wollte ohnehin nur Bruder David sehen, weil er so schön ist. Der Pfarrer gefällt mir nicht. Komm, Bübchen, wir laufen davon!« Sie setzte ihr Vorhaben augenblicklich in die Tat um und zog Ramses mit sich fort.
Bruder Ezekiel hatte gerade die Kapelle verlassen, und hinter ihm war Charity in züchtiger Haltung herausgetreten. Sobald John seine Herzallerliebste erspäht hatte, schoß er, wie von der Biene gestochen, auf mich zu. »Madam«, flehte er inständig, »bitte, darf ich …?«
»Selbstverständlich«, sagte ich.
Die Baronin war mit Sicherheit eine der fürchterlichsten Frauen,
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