Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
Interesses war, sondern ein glänzender Mumiensarg, der, achtlos gegen das Klavier gelehnt, in der Ecke stand. Ein Tisch war mit zahlreichen Skarabäen, Uschebtis und kleinen Schiffsnachbildungen aus Ton oder Stein übersät, und auf einem anderen lagen verschiedene Papyrusrollen.
Die Baronin begann plötzlich, mit den Armen zu rudern, und es dauerte einige Augenblicke, bis ich begriff, daß sie versuchte, von dem weichen Sofa hochzukommen. Schließlich hatte sie es geschafft und strömte uns entgegen. Da Emerson ihre Hand nicht wahrnahm, packte sie die seine und schüttelte sie so heftig, bis sich seine Augen ihr zugewandt hatten. Mit zusammengekniffenen Brauen betrachtete er den Kragen. »Madam, ist Ihnen klar, daß Sie einen unermeßlichen Schatz um Ihren Hals tragen?« fragte er finster.
Die Baronin rollte die Augen und legte ihre beringten Hände darauf. »Ach, dieses Monstrum! Entfernen Sie es bitte von meinem hilflosen Körper!«
»Nein«, sagte Emerson. »Ein falscher Handgriff, und ich würde es beschädigen.«
Die Baronin brach in hemmungsloses Lachen aus und sprach so schnell und falsch, daß man nichts verstehen konnte.
»Um Himmels willen, Madam! Sprechen Sie doch Deutsch!« rief Emerson.
»Ja, gern. Jeder hat mich davor gewarnt, daß der große Professor Emerson mich wegen meiner Antiquitäten auszanken würde. Herr de Morgan ist nicht so unfreundlich wie Sie!«
Sie begann, uns die übrigen Gäste vorzustellen. Wenn sie die Absicht gehabt hätte, Emerson zu ärgern, hätte sie keine bessere Zusammensetzung finden können – de Morgan, Kalenischeff, Bruder David und drei der verdammten Touristen, wie Emerson zu sagen pflegte, die von den anderen Dahabijes herübergekommen waren. Der einzige Satz, der mir von ihnen in Erinnerung geblieben ist, stammte von einer Lady. »Die Ruinen sehen so schrecklich heruntergekommen aus. Weshalb findet sich denn niemand, der sie ein bißchen herrichtet?«
Während sich die Gäste unterhielten, fragte ich die Baronin nach der einen Person, die vorzufinden ich eigentlich erwartet hatte. »Wo ist Ramses?«
»In einem der Gästezimmer eingesperrt«, war die lakonische Antwort. »Aber regen Sie sich nicht auf, Frau Emerson. Er widmet sich dort einem Papyrus. Ich mußte ihn einsperren, weil er bereits einmal von Bord gefallen ist und von einem Löwen gebissen …«
»Von einem Löwen?« Emerson fuhr herum, ohne der Isis-Statue aus Granit, die er gerade betrachtet hatte, auch nur noch einen einzigen Blick zu gönnen.
»Ich habe ein Löwenbaby«, erklärte die Baronin. »Ich habe das süße kleine Kerlchen von einem Händler in Kairo gekauft.«
»Ah!« sagte ich, denn ich konnte mir den Rest schon denken. »Ramses hat ohne Zweifel versucht, das arme Tier zu befreien, oder? Hat er Erfolg gehabt?«
»Glücklicherweise haben wir es wieder einfangen können«, sagte die Baronin.
Das hörte ich gar nicht gern, denn Ramses würde es zweifellos noch einmal versuchen. Die Baronin hatte einige Mühe, meinen aufgeregten Mann zu beruhigen. Der Biß war nur sehr leicht gewesen, und sie hatte ihn desinfiziert und behandelt, und dem jungen Mann fehlte es an nichts. Schweigend kamen wir überein, ihn dort zu lassen, wo er sich befand, bis es Zeit zum Nachhausegehen wäre. Emerson widersprach nicht, denn er war von anderen Dingen abgelenkt.
Die anderen Dinge waren zweifellos die zahlreichen Antiquitäten, die sich unerlaubt im Besitz der Baronin befanden. Während der Unterhaltung und auch während des Essens konnte Emerson sich noch beherrschen, doch dann brach seine Empörung aus ihm heraus. Er lief im Salon auf und ab und hielt ein leidenschaftliches Plädoyer, während die Baronin nur lächelte und mit den Augen rollte.
»Wenn nur die Touristen aufhören würden, bei diesen Händlern zu kaufen, dann würden sie bald aufhören, Gräber und andere Stätten zu berauben! Sehen Sie!« rief er und deutete dabei auf den Mumiensarg. »Wie viele wissenschaftliche Erkenntnisse hat der Mensch wohl verhindert, der diesen Sarg aus dem Grab geraubt hat?«
Die Baronin lächelte mir verschwörerisch zu. »Ihr Professor ist wirklich großartig! Welche Leidenschaft! Ich gratuliere Ihnen, meine Liebe.«
»Ich fürchte, ich muß meine Vorbehalte denen des Professors anfügen.« Der Satz kam so unerwartet, daß sogar Emerson verstummte und sich dem Sprecher zuwandte. Ruhig und sanft sprach David weiter. »Es ist eine verdammenswerte Gewohnheit, mit menschlichen Überresten wie mit einer Ware
Weitere Kostenlose Bücher