Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
»Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich habe bereits einen halben Tag verloren. Machen Sie, was Sie wollen!«
»Genau das werden wir«, sagte Emerson. »Guten Tag, Monsieur! «
Nachdem Mr. de Morgan davongestapft war, wandte sich Emerson an die Baronin. »Ich hoffe, Sie haben verstanden, daß wir Ihnen nur helfen, wenn Sie die Polizei nicht rufen?«
Sie hatte offenbar nicht zugehört, denn sie starrte meinen Mann so unverwandt an, daß ich wieder einmal meinen unentbehrlichen Sonnenschirm einsetzen mußte, um sie aufzuwecken. »Was?« murmelte sie verwirrt. »Was soll ich denn mit der Polizei? Was fehlt denn schon? Nichts, das ich nicht leicht ersetzen könnte.«
»Das hört sich sehr vernünftig an«, sagte Emerson. »Sie müssen sich um nichts mehr kümmern. Falls Sie sich hinlegen möchten …«
»Aber Sie verstehen mich nicht!« rief die Frau und zog ihn am Arm zu sich hin. »Die gestohlenen Dinge sind uninteressant. Aber was wird aus mir? Ich habe Angst um mein Leben, meinen Ruf …«
»Ich glaube nicht, daß Sie sich deshalb Sorgen machen sollten«, sagte ich.
»Nicht wahr, Sie werden mich beschützen?« wiederholte die Baronin und strich meinem Mann bewundernd über seinen starken Bizeps, was ich normalerweise niemandem gestatte.
»Ich werde Sie beschützen, Baronin«, sagte ich energisch. »So halten wir es immer, wenn mein Mann und ich Untersuchungen leiten. Er untersucht, und ich beschütze die Damen.«
»Ja, das stimmt«, bestätigte Emerson, während er unbehaglich von einem Fuß auf den anderen trat.
Die Baronin lockerte ihren Griff, und Emerson entfernte sich fluchtartig. »Sie sind nicht in Gefahr«, sagte ich. »Außer Sie verfügen über Informationen, die Sie uns vorenthalten haben.«
»Nein«, sagte die Baronin und grinste mich wissend an. »Sie haben einen aufregenden Mann.«
»Wirklich?«
»Ja, aber ich verschwende keine Zeit mit aussichtslosen Fällen«, fuhr die Baronin fort. »Ich sehe, daß er eisern am Schürzenzipfel seiner Frau festhält. Ich werde Datschûr morgen verlassen.«
»Was ist denn mit Bruder David?« fragte ich anzüglich. »Hält er sich nicht auch am Schürzenzipfel einer Dame fest? Oder hat Miß Charity sein Herz erobert?«
»Dieses bleiche Kind!« Die Baronin war empört. »Nein, nein, sie betet ihn an, aber er reagiert unentschlossen, denn sie hat ihm nichts zu bieten. Machen Sie nicht den Fehler, Frau Emerson, diesen jungen Mann für einen Heiligen zu halten. Das ist er nur äußerlich. Sonst hat er einen wachen Sinn für günstige Gelegenheiten.« Ich war überrascht, daß sich die Baronin mit Menschen zumindest besser auskannte als mit der englischen Sprache. »Heute früh habe ich nach ihm geschickt«, fuhr sie fort. »Und ist er gekommen? Nein, natürlich nicht. Aber eine große Spende durfte ich der Kirche machen!«
Also hatte Emerson doch recht gehabt! »Sie tun Bruder David unrecht, Baronin«, sagte ich. »Sehen Sie, er kommt gerade.«
Sie drehte sich um. »Herrgott!« rief sie. »Er hat den häßlichen Pfarrer mitgebracht.«
»Ich glaube eher, daß es sich umgekehrt verhält.«
»Ich verschwinde«, sagte die Baronin. »Sagen Sie, daß ich niemanden empfangen kann.« Doch als sie einen Schritt vorwärts machen wollte, verhedderte sie sich im Saum ihres Gewandes und fiel auf die Couch. Noch bevor sie sich wieder erheben konnte, war Bruder Ezekiel an ihrer Seite, wühlte einige Augenblicke in den Spitzen und hielt schließlich ihre Hand in seinen behaarten Pranken.
»Liebe Schwester, wie glücklich bin ich, daß Sie nicht verletzt wurden! Ich danke Gott für Ihre wunderbare Rettung. Lieber Vater im Himmel …«
Ich hörte nicht länger zu, sondern wandte mich an Bruder David. »Guten Morgen, Bruder David! Ich bin froh, daß Sie gekommen sind. Jetzt kann ich die Baronin Ihrer Hilfe überlassen.«
»Natürlich können Sie das«, sagte er ernst, und seine blauen Augen strahlten. »Ich danke Ihnen, daß Sie sich gekümmert haben, Mrs. Emerson, aber Sie können uns jetzt beruhigt verlassen.«
Ich warf noch einen Blick auf die Baronin, die die Augen geschlossen hatte und die Predigt des Pfarrers geduldig über sich ergehen ließ. Oder war sie tatsächlich eingeschlafen? Das erschien mir angesichts der Lautstärke allerdings sehr unwahrscheinlich.
Als ich nach oben auf Deck kam, hörte ich gerade noch, wie Emerson die ihn umstehenden Diener und Besatzungsmitglieder ermahnte. »Ihr wißt, daß ich niemals lüge und alle ehrenhaften Männer
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