Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
mitgekommen. Er hat auch den Löwen halten müffen, denn mein Efel wollte unf nicht.«
Ich überlegte kurz, und dann fiel mir auf, daß ich Selim heute nur von hinten gesehen hatte. Sicher war er über und über zerkratzt. Ich kniete mich nieder, um das Tier näher in Augenschein zu nehmen. Offenbar erfreute es sich bester Gesundheit, denn sein Fell war in gutem Zustand.
»Ich verfuche, ihm daf Jagen beizubringen«, sagte Ramses und hielt ihm immer wieder das Stück Fleisch vor die Nase, doch der kleine Löwe schien satt zu sein. Statt das Fleisch zu fressen, leckte er meinen Finger.
»Was werdet ihr mit ihm machen?« fragte Emerson und setzte sich auf den Boden. Sogleich probierte der kleine Kerl seine Finger aus. »Er ist ja wirklich ein süßer Kerl!«
»Alle kleinen Tiere sind allerliebst!« sagte ich kühl, während das Löwenbaby es sich auf meinem Rock bequem machte. »Aber eines Tages wird dieses kleine Tier dich in zwei Bissen verspeisen, Ramses. Du solltest ihm ein wenig Milch besorgen.«
»Ja, Mama. Vielen Dank! Daran habe ich nicht gedacht.«
»Versuche keine Tricks, mein Sohn. Du weißt, ich mag diese Schmeicheleien nicht. Ich hatte dir ein wenig mehr Vernunft zugetraut. Du hast dieses hilflose Kerlchen in deine Obhut genommen …«, ich stockte, weil diese hilflose Kerlchen genüßlich seine kleinen scharfen Zähne an meinem Bein ausprobiert hatte, doch als Emerson es mir abgenommen hatte, fuhr ich fort: »… obwohl du nicht in der Lage bist, es zu versorgen. Ich hoffe, du machst gar nicht erst den Versuch, deinen Vater oder mich dazu zu bewegen, das Löwenbaby mit nach Hause zu nehmen.«
»O nein, Mama!« sagte Ramses mit großen Augen. Emerson zog das Fleisch quer über den Boden und amüsierte sich, wenn sich der kleine Löwe darauf stürzte.
»Ich bin froh, daß du das einsiehst. Wir können unmöglich in jedem Jahr mit einem Tier zurückkommen. Die Katze Bastet … Guter Gott, was wird aus ihr? Sie wird diesen Eindringling keine Sekunde dulden!«
»Fie mag den kleinen Kerl«, sagte Ramses.
Die Katze lag auf einem Schrankkoffer, den Ramses als Regal benutzte, hatte ihre Pfoten untergeschlagen und beobachtete voller Ruhe die Szene.
»Nun gut, Ramses«, sagte Emerson, während er aufstand. »Wir werden uns etwas einfallen lassen müssen.«
»Ich habe fon nachgedacht, Papa. Ich werde ihn Tante Evelyn und Onkel Walter fenken. Im Garten von Chalfont ift Platz genug für einen Zwinger, und nach den modernften …«
»Das ist das Schlimmste, was dir einfallen konnte, Ramses!« rief ich entsetzt. »Betrachte dich als in dein Zimmer verbannt! Das heißt, vorher holst du noch Selim!«
Ramses flitzte aus dem Zimmer, und ich sank seufzend in einen Sessel. Zum ersten- und sicher nicht zum letztenmal kamen mir Zweifel, ob ich der Aufgabe gewachsen sein würde, die ich so leichtsinnig übernommen hatte. Ich hatte mich mit Dieben und Mördern herumgeschlagen, aber Ramses war vielleicht doch zuviel für mich.
Doch als ich mich den praktischen Notwendigkeiten zuwandte, schwanden meine Zweifel glücklicherweise sofort. Nachdem ich ein Wörtchen mit Selim gewechselt und seine zahlreichen Kratzer mit Jod bepinselt hatte, so daß er aussah wie ein echter Indianer, beauftragte ich einen der Männer, einen stabilen Käfig zu bauen. Ein zweiter mußte ein stabiles Holzgitter für das Fenster meines Sohnes anfertigen, und ein dritter hatte den Auftrag, im Dorf eine Milchziege zu beschaffen. Emerson protestierte nur schwach gegen meine eigenmächtige Unterbrechung seiner Arbeit, und er folgte mir und Ramses bereitwillig in den Wohnraum, wo wir uns mit ernsten Gesichtern auf zwei Stühlen niederließen, während Ramses auf einem Schemel Platz nahm.
Ich bekenne gern, daß ich wie erlöst war, als ich erfuhr, daß Ramses nichts von dem Diebstahl bei der Baronin wußte.
»Diefen feuflichen Mumienfarg würde ich niemalf nehmen«, rief er entsetzt. »Ich bin enttäuft, Mama, daf du mir fo wenig Gefmack zutrauft.«
Ich wechselte einen Blick mit Emerson und sagte lächelnd zu ihm: »Er ist nicht entrüstet, daß wir seine Ehrenhaftigkeit in Zweifel ziehen, sondern seine Intelligenz!«
»Ftehlen ift böfe, daf fteht fon in der Bibel«, sagte Ramses.
»Nimm meine Entschuldigung an, mein Sohn«, sagte Emerson. »Ich nehme an, daß du auch nicht stark genug gewesen wärst, solch eine schwere Last zu bewältigen. Nicht einmal mit Selims Hilfe.«
»Oh, daf wäre kein Hinderungfgrund gewefen, Papa. Ef gibt
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