Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
hinüberritten, denn Emerson hatte nicht die Absicht, mich in einer solchen Situation noch einmal aus den Augen zu lassen. Aber ich vermute, daß er unsere Ausgrabung genauso langweilig fand wie ich und froh über die Abwechslung war.
Ganz nebenbei ist es die Pflicht eines Mannes und einer Frau, dem anderen zu folgen, oder?
Während wir durch die Wüste ritten, hob sich meine Stimmung wieder beträchtlich, denn ich liebte den Anblick der Pyramiden über alles. Die Dahabije der Baronin war die letzte, die noch am Anlegesteg lag. Wir wurden sofort in den Salon geführt, wo die Dame, diesmal in einem blaßrosa, mit Spitzen übersäten Hausgewand, auf dem Sofa ruhte. Neben ihr saß Mr. de Morgan und hielt ihre Hand, was nicht ganz korrekt ist, denn eigentlich wurde seine Hand von ihr gehalten.
»Ah, mon cher collègue! « rief er erleichtert. »Endlich sind Sie da!«
»Wir haben die Nachricht gerade erst erhalten«, sagte ich. »Was ist denn geschehen?«
»Mord, Einbruch!« schrie die Baronin und warf sich auf die Couch.
»Diebstahl!« sagte de Morgan ruhig. »Jemand ist in der letzten Nacht hier eingestiegen und hat einige der Antiquitäten gestohlen.«
Ich sah Emerson an, wie er mit wachsender Verachtung die Baronin und ihren Beschützer musterte. »Ist das alles?« fragte er. »Komm, Peabody, laß uns wieder an die Arbeit gehen!«
»Nein, nein, Sie müssen mir helfen!« rief die Baronin. »Ich habe Sie doch gerufen, weil Sie so große Detektive sind! Die berühmten Archäologen, die alles herausbekommen. Jemand will mich umbringen – Sie müssen mich beschützen.«
»Beruhigen Sie sich, Baronin! Beherrschen Sie sich!« sagte ich. »Weshalb wurde der Diebstahl denn nicht früher entdeckt? Es ist doch schon beinahe Mittag!«
»Vorher stehe ich selten auf«, erklärte die Baronin. »Meine Diener weckten mich, als sie den Raub entdeckt hatten. Sie sind entsetzlich faul, diese Leute, denn eigentlich hätten sie den Salon schon viel früher reinigen sollen.«
»Wenn die Herrin nicht aufpaßt, machen die Diener, was sie wollen«, sagte ich. »Schade, denn einige der Verdächtigen sind bereits über alle Berge!«
»Aber, aber«, meinte de Morgan tadelnd. »Sie beziehen sich doch hoffentlich nicht auf die Touristen, die hier angelegt hatten, oder? Diese Leute sind keine Diebe.«
Über eine so naive Ansicht konnte ich nur lächeln. »Das kann man nie wissen, nicht wahr? Aber zuerst wollen wir uns einmal genau umsehen!«
»Wir haben nichts verändert«, sagte die Baronin eifrig und rappelte sich hoch. »Ich habe angeordnet, daß nichts berührt wird.«
Man konnte auf den ersten Blick erkennen, wie die Diebe hereingekommen waren, denn ein Fenster stand weit offen, und die Kissen auf der Couch wiesen einige markante Vertiefungen auf. Doch trotz meiner Lupe konnte ich keinerlei Fußabdrücke erkennen. Der sandige Boden dieser Gegend machte einem das Leben schwer.
Ich wandte mich an meinen Mann. »Kannst du sagen, was fehlt? Ich habe die Gegenstände nicht so genau angesehen.«
»Das sieht man doch auf den ersten Blick!« meinte Emerson.
»Ja, der Mumiensarg fehlt, Emerson. Aber welche Gegenstände noch?«
»Ein Skarabäus aus Lapislazuli und eine Statuette der Isis, die den kleinen Horus nährt.«
»Ist das alles?«
»Ja, das ist alles«, sagte Emerson und fügte mitfühlend hinzu: »Es waren die schönsten Stücke der Sammlung.«
Weitere Nachforschungen ergaben keine neuen Tatsachen, also wandten wir uns der Befragung der Diener zu. Während ich die wütende Baronin besänftigte, befragte Emerson die Männer auf seine Art, doch wie erwartet, waren alle unschuldig, und als einer meinte, es könnten Geister im Spiel sein, waren die anderen sofort einverstanden.
De Morgan sah nach dem Stand der Sonne. »Ich muß an meine Arbeit zurückkehren, Baronin. Ich rate Ihnen, die Polizei zu rufen. Die wird schon mit Ihren Leuten fertig!«
Die Männer reagierten sehr verängstigt, denn sie wußten, was das bedeutete. Ich machte eine beruhigende Handbewegung und wandte mich an die Baronin. »Das verbiete ich Ihnen«, sagte ich energisch.
»Sie verbieten es?« De Morgan zog die Brauen hoch.
»Ich ebenfalls«, sagte Emerson. »Sie wissen so gut wie ich, daß hierzulande die beliebteste Verhörmethode die Stockschläge sind, die den Verdächtigen verabreicht werden, bis sie endlich gestehen. Aber vielleicht haben Franzosen mit ihrem antiquierten Code Napoléon darüber andere Ansichten.«
De Morgan warf die Arme empor.
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