Amelia Peabody 03: Der Mumienschrein
sich bestimmt von keinem Teeritual unterbrechen lassen, und ich werde es ebenfalls nicht tun. Ich schwöre, heute war es das letzte Mal!«
Diesen Satz hörte ich täglich, und während ich seine Tasse füllte, sagte ich, was ich täglich darauf antwortete, nämlich daß diese Pause die Effektivität beträchtlich erhöhte und der Tee für den nötigen Flüssigkeitsaustausch sorgen würde.
»Wo ist Ramses?« fragte Emerson.
»Er hat sich verspätet«, antwortete ich. »Wo er sich gerade aufhält, kann ich dir leider nicht sagen, weil du ja nicht willst, daß ich sein Tun überwache. Du verdirbst den Jungen, Emerson! Welcher Knabe in seinem Alter hat schon eine eigene archäologische Ausgrabung?«
»Er möchte uns doch überraschen, Peabody. Es wäre ganz grausam, ihm diesen Spaß zu verderben … Ah! Hier ist er ja! Du siehst heute abend aber ordentlich aus, mein Sohn!«
Er sah nicht nur ordentlich aus, sondern war von Kopf bis Fuß perfekt gewaschen. In seinen feuchten Ringellocken schimmerten noch die Wassertropfen. Ich war so begeistert, daß er aus freien Stücken gebadet hatte, daß ich seine Verspätung ungerügt ließ und auch nichts gegen die Anwesenheit des Löwen einzuwenden hatte. Ramses befestigte die Leine an einem steinernen Pfeiler und machte sich heißhungrig über Brot und Butter her.
»Verdammt, ich glaube, wir werden schon wieder gestört!« schimpfte Emerson plötzlich und störte unser Familienidyll, und ich muß bekennen, daß ich ausnahmsweise derselben Meinung war. »Macht dieser Franzose eigentlich nur noch Besuche?«
Der Reiter auf dem herrlichen Pferd war tatsächlich niemand anderer als de Morgan. »Ramses«, begann ich.
»Ja, Mama, ich glaube auch, daf der Löwe lange genug an der frifen Luft war.« Es blieb gerade noch genug Zeit, den Löwen ins Zimmer zu scheuchen und die Tür zu schließen, bevor de Morgan sein Pferd zügelte und abstieg.
Nachdem wir uns begrüßt hatten, bekam er eine Tasse Tee und erkundigte sich eingehend nach dem Fortgang unserer Arbeit.
»Wir sind zufrieden«, antwortete ich. »Wir haben einen ausgezeichneten Überblick über das Gebiet und Friedhöfe aus römischer und christlicher Zeit entdeckt.«
»Mein Mitgefühl, lieber Freund«, rief de Morgan. »Na, vielleicht finden Sie ja auch noch etwas Interessanteres.«
»Ihr Mitgefühl ist überflüssig«, gab ich zurück. »Wir können uns nichts Schöneres vorstellen als römische Friedhöfe!«
»Dann werden Sie sich bestimmt auch über eine zusätzliche Mumie aus dieser Zeit freuen, nicht wahr?« De Morgan zwirbelte genüßlich seinen Schnurrbart.
»Was zum Teufel soll das heißen?« fragte Emerson.
»Es ist der Grund meines Besuches«, antwortete de Morgan geheimnisvoll lächelnd. »Der gestohlene Mumiensarg wurde inzwischen wiedergefunden. Die Diebe haben ihn, einige Meilen von meinem Lager entfernt, stehenlassen, wo er heute nachmittag entdeckt wurde.«
»Wie seltsam«, meinte ich.
»Aber nein«, sagte de Morgan gönnerhaft. »Ich glaube, die Erklärung ist ganz einfach. Die Diebe waren dumm. Sie haben den Fehler begangen, den Sarg zu stehlen, doch als sie erkannten, daß er praktisch wertlos und außerdem noch reichlich schwer war, haben sie ihn einfach stehenlassen.«
Emerson warf de Morgan einen sehr verächtlichen Blick zu, und ich sagte: »Die Baronin wird sich sicher gefreut haben, ihr Eigentum zurückzuerhalten.«
»Nein, sie will nichts mehr damit zu tun haben«, sagte de Morgan kopfschüttelnd. »Frauen sind immer so unlogisch … das soll natürlich nicht heißen, daß Sie, Madam …«
»Das hoffe ich doch sehr!«
»Sie wollte ihn absolut nicht wiederhaben und hat gesagt, ich soll ihn Ihnen bringen, weil er ihr nur Kummer und Sorgen bereitet hätte. Nun gut, meine Männer werden ihn später bringen«, schloß de Morgan.
»Das ist ja reizend«, zischte Emerson zwischen zusammengebissenen Zähnen.
»Mir müssen Sie nicht danken«, sagte de Morgan und tätschelte die feuchten Locken unseres Sohnes, der wie ein Hündchen zu seinen Füßen saß. »Und wie kommst du mit deinen Untersuchungen über Mumien voran, mon petit? «
»Die habe ich im Augenblick aufgegeben«, sagte Ramses, »denn ich habe keine genauen Inftrumente, um die exakten Meffungen durchzuführen, die nötig wären, um zu genauen wiffenfaftlichen …«
De Morgan lachte herzlich. »Laß es gut sein, petit chou. Wenn du dich bei Papas Ausgrabungen langweilst, kannst du mich gern besuchen. Morgen beginne ich einen neuen
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