Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
unwillig hervor. »Während er die ganze Zeit redet und die Anwesenden in dem Glauben wiegt, er sei ganz Herr der Lage.«
»Vielleicht ändert er seine Meinung noch, Emerson.«
Emerson lachte auf. »Ich weiß, was du vorhast, Peabody, und ich verbiete es dir ausdrücklich. Du wirst nicht zu Budge gehen und ihn davon zu überzeugen versuchen, daß er seine Meinung ändert.«
»Ich habe doch lediglich –«
»Das weiß ich, meine geliebte Peabody. Du hast nur an mich gedacht; und ich kann dir gar nicht sagen, wie tief mich deine zärtliche Besorgnis berührt. In der Tat glaube ich, daß Budge einen Hintergedanken hat. Kurz bevor ich ihn verließ, passierte etwas Merkwürdiges.«
»Und was war das?«
Emerson lehnte sich bequem zurück. »Es war recht dramatisch, meine Liebe. Stell dir Budge einmal vor, wie er hinter seinem Schreibtisch sitzt und verlogenen Unsinn von sich gibt. Ich schlendere forschen Schrittes im Zimmer auf und ab und –«
»Und übst dich in Kritik«, warf ich ein.
»Führe ein angeregtes Gespräch«, korrigierte Emerson. »Ein Angestellter bringt ein Päckchen in sein Büro. Budge greift nach dem albernen Papiermesser, auf das er so stolz ist – weil er es angeblich in einer Grabstätte bei Assiut gefunden hat –, und trennt die Verpackung auf. Sämtliche Farbe weicht aus seinem Gesicht … er verstummt … und starrt voller Entsetzen auf … auf ein–«
»Ein abgetrenntes menschliches Ohr?« schlug ich vor, weil ich so langsam Gefallen an der Sache fand. »Einer Mumie?«
»Einer Mumie?« erwiderte Emerson erstaunt. »Welche menschlichen Organe hast du denn noch auf Lager?«
»Eine Hand oder einen Fuß, beispielsweise.«
»Oh. Nun, so gräßlich war es auch wieder nicht. Genaugenommen handelte es sich um einen wertvollen Kunstschatz – ein Uschebti. Es war aber nicht das Uschebti, das Budge Angst einflößte, sondern der Begleitbrief.«
»Und was hatte dieser zum Inhalt, Emerson?«
»Ich weiß es nicht. Budge weigerte sich, ihn mir zu zeigen, und er ließ mich auch nicht das Uschebti untersuchen. Aber er war außer sich, Peabody, völlig außer sich. Obwohl ich gestehen muß, daß ich das Ausmaß seines Entsetzens vielleicht etwas zu übertrieben dargestellt habe.«
Während er sprach, kicherte er fröhlich; meine aufkeimende Panik hielt mich allerdings davon ab, seine unschuldige Freude zu teilen.
»Emerson«, hub ich an.
»Ja, Peabody?«
»Emerson … das von Gargery in Empfang genommene Päckchen …«
»Gütiger Himmel!« Emerson sprang auf. »Wo ist es, Peabody? Was hast du damit angestellt? Verflucht, dacht’ ich mir’s doch gleich, daß es mir bekannt vorkam!«
»Es liegt neben dir auf dem Tisch, Emerson.«
»Oh.« Emerson ließ sich in seinen Sessel zurücksinken. Statt jedoch die Verpackung mit der ihm eigenen Heftigkeit aufzureißen, saß er ganz still und drehte das Paket vorsichtig in seinen Händen. »Ja, es sieht genauso aus«, bemerkte er einen Augenblick später. »Eingehüllt in braunes Packpapier, mit Blockbuchstaben in schwarzer Tinte adressiert, von einer Feder, die dringend gespitzt werden müßte. Und von einem einigermaßen gebildeten Mann.«
Trotz meiner Neugier, was sich in dem nichtssagenden Päckchen befinden konnte, lenkte mich seine in den Raum geworfene Behauptung ab. »Also, Emerson, das ist reine Erfindung. Insbesondere der Hinweis auf Bildung. Was läßt dich auf die Bildung des Absenders schließen, geschweige denn auf sein Geschlecht?«
»Die Schrift ist männlich – kühn, geschwungen und energisch. Was das andere anbelangt – da habe ich meine Methoden, Peabody, und es würde zu weit führen, dir diese zu erklären.«
»Welch ein Unsinn«, entfuhr es mir aufgebracht.
»Das scheint alles zu sein, was uns die äußere Umhüllung vermittelt«, fuhr Emerson fort. »Trotzdem werden wir sie vorsichtig entfernen … so … um sie für eine zukünftige Untersuchung zu erhalten. Im Inneren finden wir … Ha! Genau wie ich es erwartet hatte.«
»Was, Emerson, was denn?«
»Eine Pappschachtel.«
Ich sank in meinen Sessel zurück. »Dein Versuch eines Scherzes ist völlig fehl am Platz, Emerson. Ich empfinde tiefes Mitgefühl für dich, und du machst Witze.«
»Verzeih mir, Peabody. Hmmmm. Die Schachtel weist keinerlei Besonderheit auf. Außer …« Er hob sie an seine Nase. »Einem schwachen Tabakgeruch. Zweifellos guter Tabak. Aus meiner Zeit als Pfeifenraucher weiß ich …«
»Emerson, wenn du nicht sofort die Schachtel öffnest,
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