Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
nahm ich natürlich ein Lexikon zu Hilfe und mußte interessanterweise feststellen –«
Für den Rest des Tages verbannte ich Ramses auf sein Zimmer. Nach kurzer Überlegung ereilte Percy und Violet das gleiche Schicksal. Das war zwar ungerecht, für mein Nervenkostüm jedoch unumgänglich.
Emerson war ausgegangen und hatte mir die Nachricht hinterlassen, daß er gegen halb sieben zurückkehrte. Ich verbrachte den Nachmittag in der Bibliothek, überflog sein Manuskript, brachte einige wenige Korrekturen an und zog mich dann zu einer ruhigen und ungestörten Teestunde in mein gemütliches Zimmer zurück.
Kurz nach meiner Mußestunde vernahm ich erfreut Schritte. Die Tür sprang auf, doch statt einzutreten, verharrte Emerson auf der Schwelle, und sein erster Satz machte mir klar, daß er nicht allein war.
»Also, Mrs. Watkins, warum regen Sie sich eigentlich so auf? Dieser Wasserkrug ist viel zu schwer für das Mädchen, sie ist ja fast noch ein Kind. Einer der Diener hätte ihn tragen sollen.«
»Aber Professor, sie hat selbst angeboten –«
»Überaus liebenswürdig. Aber sie hätte es besser wissen müssen. Hier – geben Sie ihn mir –, wenn Sie jetzt freundlicherweise Platz machen …«
Bevor er weitergehen konnte, wurde er von Gargery aufgehalten. »Das ist für Sie, Professor. Es wurde gerade per Boten abgegeben.«
»Nun, dann schwenken Sie es nicht vor meiner Nase«, erwiderte Emerson. »Wie soll ich es an mich nehmen, wenn ich bereits beide Hände voll habe? Geben Sie es Mrs. Emerson.«
Er betrat den Raum, schmetterte mir ein fröhliches »Guten Abend, Peabody« entgegen und stürmte ins Bad. Ein lautes Platschen folgte; Emerson tauchte erneut auf und rieb sich gedankenverloren über die nassen Stellen auf Jacke und Hose.
»Guten Abend, mein lieber Emerson«, erwiderte ich.
Mrs. Watson hatte sich zurückgezogen (aufgrund des merkwürdigen Verhaltens des Professors sicherlich kopfschüttelnd). Das Dienstmädchen schlüpfte mit vor verständlicher Empörung gesenktem Kopf ins Badezimmer; und Gargery, der bis auf ein unmerkliches Grinsen überaus würdig wirkte, schritt mit einem silbernen Tablett auf mich zu. Es war völlig klar, daß auch er, genau wie viele andere, vor Emersons charismatischer Persönlichkeit kapitulierte (die aus irgendwelchen Gründen bei Bediensteten und anderen Mitgliedern der Arbeiterklasse mehr Akzeptanz fand als bei Emersons Fachkollegen).
»Danke, Gargery.« Ich griff nach dem Gegenstand, den er mir höflich auf dem Silbertablett präsentierte. Es handelte sich nicht, wie zunächst von mir angenommen, um einen Brief, sondern um ein kleines, verschnürtes und versiegeltes Paket.
Emerson ließ sich neben mir in einen Sessel fallen und legte seine Füße auf den Kaminsims.
»Ah«, meinte er mit einem langen Seufzer. »Schön, wieder zu Hause zu sein, Peabody. Insbesondere ohne … das heißt, wo sind eigentlich die Kinder?«
Ich erklärte es ihm. Unglücklicherweise erheiterte Emerson die neueste Wortschatzerweiterung seines Sohnes mehr, als daß sie ihn schockierte. »Koprolith! Bei meinem Wort, Peabody, es gibt Schlimmeres. Davon einmal abgesehen, meine Liebe, hattest du einen angenehmen Tag?«
»Teilweise schon«, erwiderte ich. »Und du, mein lieber Emerson? Wo warst du so lange?«
»Ich habe einen ausgiebigen Spaziergang gemacht. Anschließend ersuchte ich um ein Gespräch mit Budge.«
»Mit Mr. Budge? Gütiger Himmel, Emerson, warum? Ich kann mich nicht erinnern, daß du ihn jemals um ein höfliches Gespräch ersucht hättest.«
»Er schien selbst überrascht«, erwiderte Emerson mit einem hämischen Grinsen. »Stell dir nur mal vor, Peabody, dieser hirnrissige Idiot –«
»Bitte, Emerson, achte auf deine Wortwahl.« Ich deutete auf die Badezimmertür.
»Warum zum Teufel? Oh. Ist das Mädchen immer noch da? Was … was macht sie denn?«
»Das Bad vorbereiten, wie jeden Abend, Emerson. Und hinter dir aufwischen. Mach dir nichts draus; weshalb hast du Mr. Budge eigentlich aufgesucht?«
»Nun, ich habe ihm ein Angebot gemacht.« Emerson streckte sich, daß seine Gelenke knackten. »Das Angebot, die Mumie zu enthüllen. Die Mumie.«
»Enthüllen … warum zum Teufel?«
»Achte auf deine Wortwahl, Peabody.« Emerson grinste. »Die Idee kam mir, als ich durch … äh … durch den Park schlenderte. Ganz recht, durch den Hyde Park. Das Ereignis an jenem Nachmittag im Museum hätte weitaus schlimmer enden können. Die öffentliche Hysterie ist an einem Punkt
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