Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
Erleuchtung, und ich fragte mich, warum mir das nicht schon früher eingefallen war.
»Die wilden Männer der Wüste«, sagte ich. »Vielleicht dieselben >wilden Männer<, die uns gerettet haben. Aber wir haben unterwegs keine Spur von ihm entdeckt.«
»Wenn er nur um fünfzig Meter vom Weg abgewichen ist, hatten wir gar keine Möglichkeit dazu. Und da er auch ansonsten recht unfähig ist, würde es mich nicht überraschen, wenn er den Kompaß nicht lesen könnte. Aber rechne lieber nicht damit, daß es sich um deinen Freund handelt, Peabody. Während des Mahdi-Aufstandes sind viele Menschen verschollen oder ums Leben gekommen.«
»Ganz gleich, wer es ist, wir müssen ihn sehen. Ich glaube, du hast recht, Emerson. Der gute, alte Murtek wollte, daß wir davon erfahren und etwas unternehmen. Aber wie?«
Eine der Damen erschien an der Tür zum Garten, doch Emerson bedachte sie mit einem so finsteren Blick, daß sie aufkreischend die Flucht ergriff. »Bis jetzt scheint das Glück mit den Tapferen zu sein. In anderen Worten: Ich werde einfach verlangen, daß man mich zu dem >anderen weißen Mann< bringt. Wir werden schon sehen, was sich daraus entwickelt.«
Die Dame hatte uns mitteilen wollen, daß man Ramses gefunden hatte – oder besser gesagt, daß er freiwillig zurückgekommen war. Er saß am Tisch, verzehrte die Überreste des Mittagessens und verfütterte Bröckchen davon an die Katze. Die Katze war so elegant und sauber wie immer; mein Sohn war mit Staub und Spinnweben bedeckt. Als ich ihm befahl, sich waschen zu gehen, widersprach er, er habe sich bereits gewaschen – seine Hände. Eine Überprüfung ergab, daß sie tatsächlich sauberer waren als der Rest seiner Person, weshalb ich nicht auf einer weiteren Reinigung beharrte.
»Wo warst du?« fragte ich. »Wir haben dich überall gesucht.«
Ramses schob sich ein riesiges Stück Brot in den Mund und wies mit der Hand auf den hinteren Teil des Gebäudes. Ich entnahm dem, er habe sich seiner selbst auferlegten Aufgabe gewidmet, die Wandgemälde und Inschriften zu kopieren. Also erteilte ich ihm eine Standpauke zum Thema Tischmanieren, denn seine hatten unter dem Einfluß unserer Diener erheblich nachgelassen, und sagte ihm tadelnd, es sei unhöflich, sich vor Menschen zu verstecken, die einen suchten.
Emerson, der sich sofort zu den Wachen begeben hatte, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, kam schimpfend und mit finsterer Miene zurück.
»Haben sie dich nicht gehen lassen?« fragte ich.
»Das war nicht das Problem.« Schwer ließ Emerson sich auf einen Stuhl fallen. »Sie gaben vor, mich nicht zu verstehen.«
»Vielleicht haben sie dich wirklich nicht verstanden, Emerson. Möglicherweise ist der arme Mann ein Gefangener und wird scharf bewacht.«
»Oder es gibt ihn nur in meiner Phantasie«, murmelte Emerson und strich sich über das Grübchen im Kinn. »Nein, verdammt, Murteks Worte waren eindeutig. Und was tun wir jetzt?«
Als Ramses nach einer Erklärung verlangte, kam sein Vater dieser Bitte nach. »Sehr interessant«, sagte Ramses und strich sich auch übers Kinn. »Mir erscheint es am besten, jemanden in gehobener Stellung zu fragen – oder die Auskünfte bei ihm einzufordern.«
»Genau das wollte ich auch vorschlagen«, stimmte ich zu. »Einen der Prinzen vielleicht?«
»Alle beide«, meinte Ramses.
Also steckten wir die Köpfe zusammen und schrieben eine Botschaft nach dem Vorbild des Steins von Rosetta, indem wir den Text in Englisch und Meroitisch abfaßten. Nachdem wir uns zur allgemeinen Zufriedenheit auf den Wortlaut geeinigt hatten, schrieb ich alles noch einmal ab, und Emerson übergab die beiden Briefe den Wachen.
»Es gab keine Schwierigkeiten«, berichtete er bei seiner Rückkehr. »Man versicherte mir, unsere Nachricht werde umgehend weitergeleitet. Nun können wir nur noch warten.«
»Ich habe es allmählich satt, ständig nur herumzusitzen. Warten ist nicht unser Stil, Emerson. Ich brenne darauf, etwas zu tun. Ein kühner Wurf, ein Staatsstreich …«
»Du könntest ja mit gezücktem Sonnenschirm ins Dorf marschieren und die rekkit zu den Waffen rufen«, antwortete Emerson und griff nach seiner Pfeife.
»Sarkasmus steht dir nicht, Emerson. Ich meine es ernst. Es muß doch einen Weg geben, wie wir unseren Einfluß mehren und den Leuten hier Angst und Schrecken einjagen können … Emerson! Es steht nicht zufällig eine Sonnenfinsternis bevor?«
Emerson nahm die Pfeife aus dem Mund und starrte mich an. »Woher zum
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