Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
verächtlich. »Gut«, fuhr Reggie fort. »Schade, daß Amenit krank ist. Sonst hätten wir heute nacht mit der Suche anfangen können. Ich muß mich mit ihr beraten.«
»Natürlich«, sagte Emerson. »Ich glaube, man ruft uns zum Essen. Ich schlage vor, daß Sie das Thema in Gegenwart der Diener nicht weiter erörtern.«
Dieser Rat, obwohl vernünftig, verhinderte, daß ein Tischgespräch in Gang kam. Reggie brütete über seinem Teller und sagte fast kein Wort. Nachdem er aufgegessen hatte, sprang er auf und verließ mit einer gemurmelten Entschuldigung den Raum.
»Endlich allein«, seufzte Emerson sehnsüchtig.
»Bis auf …« Ich wies auf die verschleierte Gestalt der Magd und die Diener.
»Die gehen mir nicht so auf die Nerven wie Forthright. Er ist wirklich eine entsetzliche Landplage, Peabody. Ich wünschte, er würde verschwinden.«
Sein Wunsch wurde erfüllt, und zwar auf eine Weise, mit der er – wie ich zu behaupten wage – selbst nicht gerechnet hatte. Nur zu bald kehrte Reggie zurück, und wir verbrachten eine Stunde in bedrückendem Schweigen. Reggie ging im Zimmer auf und ab. Emerson paffte riesige Rauchwolken, und die Diener standen herum und versuchten, unseren Blicken auszuweichen. Und ich … ich bemühte mich, nachzudenken und Pläne zu schmieden, aber meine Gedanken kehrten immer wieder zu Ramses zurück. Vielleicht hatte Reggie mit seiner Vermutung recht, er könne nahe an der Treppe geblieben sein und würde antworten, wenn ich ihn riefe. Allerdings war ebenso wahrscheinlich, daß er sich leichtsinnigerweise auf die Suche nach einem anderen Ausgang gemacht hatte. Vielleicht hatte er sich heillos verirrt oder war den Priestern in die Arme gelaufen. Vielleicht war er ja auch in eine Grube gestürzt, von einer Fledermaus gebissen oder von einem Löwen gefressen worden oder … Es gab unzählige Möglichkeiten, eine gräßlicher als die andere.
Ich wurde von Marschschritten aus meinen Gedanken gerissen, die unheilvoll näher kamen. »Nicht schon wieder!« rief Emerson aus und legte die Pfeife weg. »Das ist zu viel. Ich werde mich bei der Direktion beschweren.«
Doch diesmal hatte man es nicht auf uns abgesehen. Die Soldaten wollten Reggie abholen. Er fügte sich ruhig und tapfer in sein Schicksal und meinte nur: »Hoffentlich heißt das, daß sie den Jungen gefunden haben und ihn zu Ihnen zurückbringen, Ma’am. Beten Sie für mich.«
»Das tut sie bestimmt«, sagte Emerson. »Komm, Peabody, begleiten wir ihn zur Tür.«
Die Wachen erhoben keinen Einspruch, als wir ihnen folgten. »Kehren Sie um!« rief Reggie. »Setzen Sie nicht Ihr Leben aufs Spiel. Sie können nicht verhindern, daß sie mich mitnehmen.«
»Rührend, wie er sich um uns sorgt«, bemerkte Emerson, der, die Hände in den Taschen, einherschlenderte.
Ich kannte seine wahren Absichten und war ebenso neugierig wie er, wie weit wir kommen würden, ehe man uns aufhielt. Wir hatten schon die große Tür durchschritten und standen auf der Terrasse vor dem Haus, als der Offizier endlich den Mut fand, sich uns in den Weg zu stellen. Doch selbst dann berührte er Emerson nicht und bedrohte ihn auch nicht mit der Waffe. Er hielt den Speer nur wie eine Schranke vor sich.
Es war dunkel geworden. Die Luft war nun klar, und Millionen von Diamantsplittern funkelten am nachtblauen Himmelszelt. Emerson wandte sich um und ging zur Kante der Terrasse. »Schau, Peabody«, sagte er und zeigte mit dem Finger. »Im Dorf tut sich etwas.«
Wirklich, da unten wimmelten Lichter – es waren nicht die Sterne, die sich da spiegelten, sondern leuchtende Punkte, die bedrohliche Rauchfahnen hinter sich her zogen. »Fackeln«, sagte Emerson. »Sie durchsuchen das Dorf.«
»Nach Ramses?«
»Eher nach Tarek. Offenbar sind sie mit ihrem Latein am Ende, denn dort unten würde er sich niemals verstecken.«
»Hoffentlich brennen sie die Hütten nicht nieder«, meinte ich besorgt. »Oder verletzen jemanden. Glaubst du, daß dein Auftritt heute etwas damit zu tun hat?«
»Ich würde mich freuen, wenn mein Auftritt und unsere übrigen Aktionen Nastasen ordentlich in Schwierigkeiten gebracht haben. Schau dir diesen armen Teufel von einem Wachmann an, wie er versucht, uns mit dem Speer zu drohen und gleichzeitig magische Gesten zu vollführen, um sich vor unserem Zauber zu schützen. Wenn er nicht aufpaßt, stolpert er noch über das verdammte Ding. Gehen wir lieber hinein.«
Nach einem letzten Blick auf Reggie und seine Eskorte, die die Stufen
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