Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
Kemit?« fragte Emerson.
»Sie sind beim Gott.« Kemits Hand vollführte eine seltsam fließende Geste vom Horizont bis zum Himmel, der vor Hitze flirrte.
»Ich bete darum«, meinte Emerson höflich. »Nun, mein Freund, machen wir weiter; unsere Arbeit wird ihre Namen wieder zum Leben erwecken, und wie Sie wissen, hofften sie auf die Unsterblichkeit.«
Gemeinsam gingen sie los, und ich dachte nicht zum erstenmal, was für ein beeindruckendes Paar die beiden abgaben.
»Ramses«, meinte ich zerstreut – denn ein Teil meiner Aufmerksamkeit ruhte auf den anmutigen und athletischen Bewegungen der bewundernswerten Gestalt meines Gatten –, »sobald du mit Nummer sechs fertig bist, kommst du mit deiner Mannschaft zur größten Pyramide und hilfst mir.«
»Aber Papa hat gesagt …«
»Egal, was Papa gesagt hat. Er hat seinen Neigungen nachgegeben – äh –, er hat die Erstellung der Aufzeichnungen aufgeschoben, um zu graben. Also kann er mir keinen Vorwurf daraus machen, daß ich dasselbe tue. Die größte Pyramide hat gewiß einem der großen Könige gehört, Piankhi, Taharka oder Shabaka. Der Überbau ist völlig eingestürzt, aber bestimmt liegt darunter eine Grabkammer.«
Ramses strich sich übers Kinn. Einen Moment lang hatte er eine unheimliche Ähnlichkeit mit seinem Vater, auch wenn sie sich eher in seinen Gesten und seinem Ausdruck äußerte als körperlich. »Ja, Mama.«
Einige Tage später hatte meine Mannschaft viele Tonnen Stein bewegt, ohne auch nur die Spur eines Eingangs zu einer Grabkammer zu finden. Emerson hatte von den Pyramiden in der südöstlichen Reihe abgelassen und untersuchte nun mit seiner Gruppe ein kleineres, halb eingestürztes Gebäude dahinter. Am Mittwoch, kurz nach Sonnenaufgang, wurde ich von einem Schrei aufgeschreckt, der seltsam über die sandbedeckte Ebene hallte. Sofort lief ich los und fand Emerson bis zu den Hüften in einem Graben. »Eureka!« begrüßte er mich. »Endlich! Ich glaube, wir haben die Kapelle gefunden, Peabody!«
»Ich gratuliere, mein Liebling«, antwortete ich.
»Hol sofort die übrigen Männer hierher, Peabody. ich will den Graben verbreitern und vertiefen.«
»Aber Emerson, ich habe noch nicht …«
Mit dem Ärmel wischte sich Emerson den Sand vom verschwitzten Gesicht. »Mein Liebling, ich weiß, du verzehrst dich danach, irgendeinen abscheulichen, einsturzgefährdeten Tunnel zu finden, hineinzukriechen und Leib und Leben zu riskieren. Doch es ist wichtig, daß wir so schnell wie möglich alles aus diesem Gebiet herausholen. Sobald die Einheimischen Wind von unserer Entdeckung bekommen, werden Klatsch und Übertreibung im Nu Gold und Juwelen hinzudichten, und dann kommt jeder menschliche Maulwurf aus der Umgebung und fängt zu wühlen an.«
»Du hast recht, Emerson«, seufzte ich. »Natürlich tue ich, worum du mich gebeten hast.«
Es dauerte einige Stunden, bis wir den Graben so verbreitert hatten, daß die gefundenen Steine in ihrer Gesamtheit sichtbar wurden. Dann mußten noch sorgfältige Notizen über ihre genaue Lage angefertigt werden. Als wir maßen und zeichneten, während die Sonne auf uns herunterbrannte und sich unsere Münder und Nasen mit Sand füllten, hätte ich alles für eine Kamera gegeben. Ich hatte vorgeschlagen, eine mitzunehmen, aber Emerson hatte Einspruch dagegen erhoben. Seiner Ansicht nach waren die verdammten Dinger unhandlich und unzuverlässig – außer in der Hand eines ausgebildeten Photografen, über den wir nicht verfügten. Außerdem verlangte die zweckmäßige Nutzung eines solchen Apparats nach weiterer Ausrüstung, die nicht leicht zu beschaffen war: frisches Wasser, Chemikalien und so weiter.
Unglücklicherweise entdeckte einer der Männer einige Fetzen Blattgold. Ich sage unglücklicherweise, denn nichts weckt die Schatzsucherinstinkte und die damit einhergehende Bereitschaft, sich den Reichtum auch gewaltsam anzueignen, mehr als dieses Metall. Leuchtend wie die Sonne, weich genug, um es mühelos zu verarbeiten, und unzerstörbar, hat es schon seit undenklichen Zeiten in Männern eine Begierde geweckt, die ihre Liebe zu Frauen, geschweige denn zu ihren männlichen Zeitgenossen, bei weitem übersteigt. Der Name Nubien selbst ist von dem altägyptischen Wort für Gold abgeleitet. Hauptsächlich des Goldes wegen schickten die Pharaonen Händler und Armeen ins Land Kusch. Und es hätte mich nicht überrascht, wenn Kain den ersten Mord um Goldes willen begangen hätte. (Es geschah vor langer Zeit, und die
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