Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
dem Kopf gelandet. Natürlich ist es ihm peinlich, das zuzugeben.«
»Doch dann hätte er eine Beule gehabt, Emerson.«
Emerson verlangte, dieses Gespräch zu beenden, und verlieh dieser Bitte durch einige Handlungen Ausdruck, die mir weitere Worte nicht nur unangemessen erscheinen ließen, sondern schlicht unmöglich machten.
Trotz einer etwas unruhigen Nacht war Emerson am nächsten Morgen rechtzeitig auf den Beinen. Ich wurde geweckt, als er hastig aus dem Zelt stürmte und die Männer mit Stentorstimme zur Arbeit rief. Da ich genau wußte, daß ihm hauptsächlich daran lag, Reggie aus dem Schlaf zu reißen und das Durchhaltevermögen des unglücklichen jungen Mannes auf eine Zerreißprobe zu stellen, ließ ich mir Zeit mit meiner Tasse Tee. Ich genoß den Anblick des zartrosafarbenen Himmels im Osten, als die Sterne verblaßten und ihr schwacher Schein vom prächtigen Sonnengott abgelöst wurde.
Die Morgenluft war so kalt, daß mir mein Wollhemd sehr gelegen kam, doch als Emerson am frühen Nachmittag eine kurze Pause anberaumte, hatten wir uns alle schon so vieler Kleidungsstücke entledigt, wie die guten Sitten gestatteten. Reggie hatte besser durchgehalten als erwartet. Allerdings hatte er an diesem Vormittag auch noch nicht viel vorzuweisen.
»Es wird eine Zeit dauern, bis Sie sich mit dem Gelände und unseren Methoden vertraut gemacht haben«, sagte ich.
Reggie lachte. »Sie sind zu freundlich, Mrs. Emerson. In Wahrheit war ich von Ihrer Arbeit und der des Professors so fasziniert, daß ich meine eigene vernachlässigte. Sagen Sie mir …« Und er begann, mich mit Fragen zu löchern. Was hofften wir zu finden? Warum gruben wir so langsam und unter solchen Mühen, anstatt die Pyramiden einfach aufzubrechen?
Falls er es wirklich auf Informationen abgesehen hatte, bekam er mehr, als er sich hätte träumen lassen. Emerson verdrehte nur die Augen und zuckte die Achseln, ein Zeichen dafür, daß er Reggies Unwissenheit hoffnungslos fand. Ramses hingegen war stets bereit, anderen Menschen Vorträge zu halten.
»Das Ziel einer guten Ausgrabung, Mr. Forthright, sind keine Schätze, sondern Wissen. Jeder Bruchteil eines Gegenstands, und sei er auch noch so unbedeutend, könnte ein wichtiger Schlüssel zu unserem Verständnis der Vergangenheit sein. Unser vorrangiges Ziel hier ist, den ursprünglichen Grundriß zu rekonstruieren und – wenn möglich – eine relative Chronologie …«
Und so weiter und so fort. Nach einer Weile hob Reggie die Hände und lachte aus vollem Halse. »Das ist genug für einen Tag, Master Ramses. Ich glaube, ich bin doch nicht für die Archäologie geschaffen. Aber ich bin bereit, mit der Arbeit fortzufahren, wann immer Sie es wünschen, Herr Professor.«
»Während der heißesten Tageszeit arbeiten wir nicht«, teilte ich ihm mit. »Am besten ruhen Sie sich aus, solange Sie noch die Gelegenheit haben. Ich werde Sie begleiten. Vielleicht kann ich Ihnen einige Vorschläge machen, wie Sie Ihren Aufenthalt bequemer gestalten können.«
In Wirklichkeit wollte ich seine Diener kennenlernen und feststellen, wie sie sich mit den anderen Männern vertrugen. Außerdem hatte ich vor, seine Kamele zu inspizieren. Ich ging davon aus, daß sie Pflege nötig hatten. Das Lager befand sich ein wenig abseits von unserem, nördlich der Ruine der größten Pyramide. Verglichen mit unseren bescheidenen Unterkünften ähnelte Reggies einem Palast. Das Zelt war groß genug für mehrere Personen und enthielt jeden möglichen Luxus, von Teppichen auf dem Sandboden bis zu einer zusammenklappbaren Badewanne.
»Du meine Güte!« rief ich aus. »Es fehlen nur noch die Champagnergläser.«
»Ich habe leider keinen Champagner«, antwortete Reggie lachend. »Aber dem Brandy schadet das Reisen nicht, wie ich glaube. Ich hoffe, Sie und der Professor werden sich heute abend nach dem Essen auf ein Glas zu mir gesellen.«
Die Kamele brauchten meine Pflege – was angesichts der Lasten, die sie getragen hatten, nicht weiter verwunderlich war. Reggies Diener beobachteten mich mit unverhohlenem Spott, als ich die eiternden Wunden an den Flanken der Tiere mit Salben behandelte. Allerdings verschwand ihr Grinsen recht schnell, als ich mich in fließendem Arabisch an sie wandte. Es waren vier: drei Nubier und ein Ägypter, der aus der Gegend von Theben stammte. Er hörte (wie die Hälfte seiner Landsleute) auf den Namen Ahmed. Als ich ihn fragte, warum er so weit in die Fremde gegangen sei, antwortete er: »Der
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