Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
ansprechen wollte. Als ich es Emerson gegenüber erwähnte, zuckte er nur mit den breiten Schultern. »Sie waren die besten in einem Haufen von Taugenichtsen. Wenn ich die Zeit gehabt hätte, meinen Freunden bei den Beduinen eine Botschaft zukommen zu lassen … Ich weiß nicht, worüber sie sich beklagen. Bis jetzt ist doch alles sehr gutgegangen.«
»Abgesehen von den Kamelen, die gestorben sind.«
»Die Schwachen werden ausgesondert«, dozierte Emerson. »Und sie waren die Schwächsten. Die anderen machen einen recht gesunden Eindruck.«
»Ich habe beobachtet, daß Daoud den Männern heute abend einen Vortrag hielt. Sie umringten ihn wie Verschwörer, und als er mich kommen sah, schwieg er.«
»Wahrscheinlich hat er ihnen eine schmutzige Geschichte erzählt«, sagte Emerson. »Du meine Güte, Peabody, diese weibliche Ängstlichkeit paßt so gar nicht zu dir. Fühlst du dich vielleicht nicht wohl?«
Er griff nach meiner Hand.
In dieser Hand lag – im übertragenen Sinne – das Mittel, Emersons Pläne zu ändern. Ich fühlte mich tatsächlich nicht wohl. Ich hätte nur zugeben müssen, daß ich seit dem gestrigen Nachmittag an Fieber litt, und Emerson hätte mich so schnell wie möglich zurück in die Zivilisation und zu einem Arzt gebracht. Doch das kam nicht in Frage. Niemand verstand besser als ich die Leidenschaft, die ihn ins Unbekannte trieb. Nicht nur, daß Forths Karte sich als korrekt herausgestellt hatte; die Entdeckung antiker Ruinen bewies die Theorie, daß die Kaufleute, Boten und fliehenden Angehörigen des Königshauses aus dem alten Kusch auf eben dieser bislang unbekannten Straße gereist sein mußten. Ebenso wie Emerson brannte ich darauf zu erfahren, was am Ende dieser Straße lag. Oder wenigstens wäre das so gewesen, hätte ich nicht solche Kopfschmerzen gehabt.
»Natürlich geht es mir gut«, antwortete ich gereizt.
»Deine Hand ist ganz heiß«, meinte Emerson. »Du hast doch bestimmt deinen Erste-Hilfe-Koffer dabei. Hast du schon Fieber gemessen?«
»Ich brauche kein Thermometer, um festzustellen, ob ich Fieber habe. Und ich weiß genauso gut wie jeder Arzt, was ich in diesem Fall tun muß. Mach nicht so ein Theater, Emerson.«
»Peabody.«
»Ja, Emerson.«
Emerson nahm mein Gesicht zwischen beide Hände und sah mir in die Augen. »Nimm ein wenig Chinin und leg dich hin, Liebling. Ich verarzte die verfl … verflixten Kamele und bringe sie zu Bett. Und wenn ich morgen früh nicht völlig sicher bin, daß dir nichts fehlt, binde ich dich auf ein Kamel und schaffe dich zurück.«
Angesichts dieses Liebesbeweises, wohl des edelsten, den ein Mann je einer Frau entgegengebracht hat, stiegen mir die Tränen in die Augen. Allerdings bekam mein galanter Emerson nicht mehr die Gelegenheit, diese schwerwiegende Entscheidung zu treffen, denn unsere Männer machten sich glücklicherweise in der Nacht aus dem Staub. Sie nahmen die Kamele mit, die mit dem Großteil unserer Lebensmittel und Wasservorräte beladen waren.
Diese zugegebenermaßen bestürzende Entdeckung hatte die Wirkung, daß ich mein Unwohlsein vergaß. Und als sich unsere kläglich geschrumpfte Schar zu einer Lagebesprechung versammelte, fühlte ich mich fast so hellwach wie sonst. Ramses hatte Kemit bewußtlos inmitten von zertrampeltem Sand und Kameldung an eben der Stelle aufgefunden, wo das Lager unserer Männer gestanden hatte. Doch Kemit weigerte sich, mich seine Wunde behandeln zu lassen. Es handle sich nur um eine Beule am Kopf, sagte er, und er bedauere nur, daß der Hieb ihn daran gehindert habe, Alarm zu schlagen.
»Es hätte nichts genützt«, beruhigte ich ihn. »Wir hätten sie nicht zwingen können, mit uns weiterzureiten; wir benützen keine Ketten und Peitschen wie die Sklavenhändler.«
»Nein, aber wir hätten sie … äh … überzeugen können, uns Lebensmittel und Wasser hierzulassen«, meinte Emerson. »Aber ich mache Ihnen keinen Vorwurf, Kemit. Sie sind ein echter Kerl und haben Ihr Bestes getan. Daß wir jetzt so in der Klemme sitzen, ist nur meiner ausgemachten Dummheit zu verdanken. Ich hätte eines der Lastkamele in unserer Nähe behalten sollen, anstatt alle Tiere den Männern anzuvertrauen.«
»Es hat keinen Zweck zu bedauern, was man nicht mehr rückgängig machen kann«, merkte ich an. »Wenn uns wirklich ein Fehler unterlaufen sein sollte, sind wir alle schuld daran.«
»Richtig«, sagte Emerson. Seine Laune besserte sich wieder. »Was haben sie uns hiergelassen, Peabody?«
»Unsere
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