Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
er hatte genau in mein Ohr geflüstert. Das war zwar nicht unangenehm, lenkte mich aber vom eigentlichen Thema ab. Emerson hielt mich fest. »Ich bin nicht nur aus diesem Grund zu dir gekommen.«
»Deinen hauptsächlichen Grund, zu mir zu kommen, hast du bereits sehr wirkungsvoll unter Beweis gestellt, mein lieber Emerson, aber wir sollten die Gelegenheit nützen. Ich nehme an, du hast bereits einen brillanten Fluchtplan ausgeheckt.«
»Flucht? Warum Flucht? Zum Teufel, Peabody, aus diesem Haus zu entkommen ist nicht das Problem. Das würde uns vermutlich gelingen, aber was dann? Ohne Kamele, Wasser und Lebensmittel haben wir nicht die geringste Chance, selbst wenn ich den Eingang des Tunnels wiederfinden sollte, durch den wir gekommen sind, was ich wahrscheinlich nicht könnte.«
»Was schlägst du dann vor? Du hast unser romantisches Rendezvous doch bestimmt nicht nur arrangiert, um mir vor Augen zu führen, was wir nicht können.«
Emerson kicherte. »Mein Liebling, wie schön, dich wieder nörgeln zu hören. Wie dem auch sei, du hast den eigentlichen Grund dieses Rendezvous’ vergessen …«
»Hör auf, Emerson. Oder besser – verschiebe, was du gerade tust, bis wir die Lösung unseres Problems gefunden haben. Ich kann nicht denken, während du …«
Nach einer weiteren Unterbrechung stellte Emerson atemlos fest: »Du redest zuviel, Peabody, aber es ist ein Vergnügen, dich auf diese ganz bestimmte Weise zum Schweigen zu bringen. Als deine Gegenwart mich wieder einmal aus der Fassung brachte, wollte ich gerade sagen, daß ich erst einen Beweis für die Notwendigkeit einer Flucht brauche. Wir haben diese bemerkenswerte Stadt noch nicht einmal erkundet. Sie ist ein ausgezeichnetes Betätigungsfeld für einen Wissenschaftler und Forscher!«
»Ich muß sicher nicht betonen, daß ich deine Begeisterung teile, mein Liebling. Trotzdem habe ich einige besorgniserregende Anzeichen gesehen …«
»Du siehst immer besorgniserregende Anzeichen«, knurrte Emerson.
»Die du gewöhnlich ignorierst, wenn sie deinen Wünschen entgegenstehen. Ganz gleich, ob Mr. Forth diesen Ort verlassen wollte oder nicht, ist es nicht von der Hand zu weisen, daß er keine Gelegenheit dazu erhielt. Ich möchte nicht zu einem überstürzten Aufbruch drängen, sondern nur sichergehen, daß man uns fortläßt, wenn wir dazu bereit sind. Oder möchtest du den Rest deines Lebens hier verbringen? Vielleicht machen sie dich ja zum Ratgeber und Lehrer der königlichen Kinder.«
»Ohne Pfeifentabak und mit diesen verhüllten Weibsbildern, die ständig um uns herumwimmeln? Nein danke.«
»Du nimmst die Sache sehr auf die leichte Schulter, Emerson. Ein weiteres besorgniserregendes – oder wichtiges, falls dir das lieber ist – Zeichen ist der Zwist zwischen den beiden Prinzen. Du hattest recht, als du sagtest, daß sich derartige politische Machtkämpfe im allgemeinen ziemlich ähneln. >Wer nicht für mich ist, ist gegen mich< ist eine Redewendung, die hier sicherlich ebenso zutrifft wie in unserem Teil der Welt. Wir können kaum davon ausgehen, daß man uns Neutralität zugesteht, und in einer Gesellschaft wie dieser hier tritt politische Opposition meist in Form eines gewalttätigen Übergriffs auf.«
»Es ist ein Vergnügen«, sagte Emerson, »mit einem so raschen und logischen Verstand wie dem deinen zu tun zu haben, meine liebe Peabody. Ich gebe zu, deine Begründung überzeugt mich. Wir sollten mit dem Schlimmsten rechnen, damit wir darauf vorbereitet sind. Gewiß gibt es eine Fraktion oder Fraktionen, die verhindern wollen, daß wir gehen. Deshalb brauchen wir Verbündete, die uns die notwendige Ausrüstung für eine Durchquerung der Wüste beschaffen.«
»Schlägst du vor, wir sollten einem der Anwärter auf den Thron unsere Hilfe anbieten, damit er uns die Flucht ermöglicht?«
»Nichts so Machiavellistisches. Ich stehe bereits auf der Seite unseres Freundes Tarek.«
»Ich auch. Ich hatte ihn schon ins Herz geschlossen, als er noch Kemit hieß; und außerdem gefällt mir Nastasens Mund nicht.«
Emerson hob zu einem brüllenden Gelächter an, das ich prompt und wirkungsvoll zum Verstummen brachte. Während er versuchte, wieder zu Atem zu kommen, sagte ich ernst: »Die Physiognomie ist eine Wissenschaft, Emerson, und ich habe mich lange eingehend damit beschäftigt. Also unterstützen wir Tarek?«
»Wie die Dinge im Augenblick liegen, verstehe ich nicht, warum wir überhaupt hierhergelockt wurden – denn so verhält es sich,
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