Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
sich aus der Tür. Ich hörte die Times fluchen und schloß, daß ein Schuß den Journalisten gestreift hatte; offenbar war die Wunde nicht so schwer, daß es ihm die Sprache verschlagen hätte.
Eine Hand ergriff mich und zog mich zurück ins Zimmer.
»Verdammt, Amelia!« tobte mein sonst so sanftmütiger Schwager. »Bist du denn noch gescheit, herumzustehen und zu plaudern, während man auf dich schießt?«
»Es besteht kein Anlaß, sich im Ton zu vergreifen, Walter«, tadelte ich. »Alles ist …«
In diesem Moment gab krachend die Tür nach; Tische und Betten flogen durcheinander. Ein Mann stürmte durch die Öffnung. Ehe einer von uns sich rühren konnte, packte er den Nächstbesten mit eisernem Griff. Zufällig handelte es sich um David.
Nach einem ersten unwillkürlichen Aufschrei gab der Junge keinen Laut mehr von sich und verharrte reglos wie eine Statue. Doch das tun wohl die meisten Menschen, wenn ihnen jemand ein Messer an die Kehle hält.
Eine Stimme in der offenen Tür sagte: »Mein Glückwunsch, Mrs. Emerson. Anscheinend haben Sie dieses kleine Scharmützel gewonnen. Aber der nächste Sieg gehört mir.«
Zum erstenmal sah ich Riccetti stehen, ohne daß jemand ihn stützte. Sein gewaltiger Leib füllte den Türrahmen, und etwas an seiner Haltung verriet mir, daß er gar nicht so hilflos war, wie er sonst immer tat.
Zuerst verstand ich nicht, warum er sich geschlagen gab. Wir waren praktisch unbewaffnet. Walter und ich standen wie angewurzelt da, denn wir konnten nicht angreifen, solange der Junge mit dem Messer bedroht wurde.
Dann jedoch bemerkte ich, daß Evelyn mit meiner Pistole auf Riccetti zielte. Sie hielt sie zwar mit beiden Händen, aber die Waffe zitterte nicht.
»Es wird kein zweites Scharmützel geben, Riccetti. Befehlen Sie Ihrem Komplizen, den Jungen loszulassen, sonst drückt sie ab. Könntest du vielleicht einen kleinen Warnschuß abfeuern, Evelyn – ein paar Zentimeter über seinen Kopf?«
Evelyn warf mir einen raschen, gequälten Blick zu, und Riccetti lachte. »Etwas derart Undamenhaftes würde ich ihr nie zutrauen. Allerdings werde ich mich lieber empfehlen und weiterkämpfen, anstatt dieses Risiko auf mich zu nehmen. Meine Männer warten, bis ich das Haus verlassen habe. Also versuchen Sie nicht, mir zu folgen.«
Er wandte sich um. Der Mann, der David festhielt, war der Riese, den wir gefesselt und bewußtlos oben zurückgelassen hatten. Offenbar besaß er ein rachsüchtiges Naturell. »Was geschieht mit dem hier?« fragte er mit glitzernden Augen.
Riccetti blieb nicht einmal stehen. »Schneid ihm die Kehle durch.«
Ich glaube nicht, daß Evelyn wirklich schießen wollte. Daß sie den Finger um den Abzug krümmte, war wahrscheinlich ein Reflex, ausgelöst von nackter Angst. Obwohl die Kugel ihr Ziel weit verfehlte, beflügelte sie Riccetti zu ziemlicher Eile. Und was noch wichtiger war, sie lenkte den Riesen eine Sekunde lang ab.
In eben dieser Sekunde sprang Walter los. Mörder, Opfer und Retter stürzten in einem Knäuel aus Armen und Beinen zu Boden. Mit gezücktem Messer stürmte ich auf sie zu. Evelyn war vor mir an Ort und Stelle, aber wir konnten nichts tun.
Wir hatten unsere liebe Mühe, den sich wälzenden Leibern und den um sich schlagenden Armen auszuweichen. Zuerst lag der eine Mann oben, dann der andere. David hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt und schützte den Kopf mit den Armen, während Füße und Fäuste nach ihm stießen.
Das Messer entglitt Walters Hand und fiel klappernd auf den Boden. Mit beiden Händen packte er das Handgelenk seines Gegners und versuchte mit aller Kraft, diesem die Waffe zu entreißen. Eine Weile schien es, als würde er siegen. Doch dann rollte sich der Mann herum, und Walter wurde auf den Rücken geschleudert. Sein Kopf kam so schwungvoll mit den Dielen in Berührung, daß er einen Augenblick die Besinnung verlor. Der Mann befreite seinen Arm, erhob sich und holte aus.
Mit einem Aufschrei, beinahe so schrill wie Kevins Geistergeheul, leerte Evelyn das Magazin ihres Revolvers. Sie sprang über David hinweg, zerrte Walter unter dem gefallenen Körper seines Feindes hervor und nahm ihn in die Arme.
Es passiert mir nur selten, daß ich vor lauter Erstaunen handlungsunfähig bin. Allerdings war es diesmal auch gar nicht mehr nötig, etwas zu tun. Die Eingangstür hatte nachgegeben, und unsere Retter waren im Haus. David setzte sich auf. Walter öffnete die Augen, und der Riese war zweifellos tot. Evelyn – meine
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