Amelia Peabody 08: Der Ring der Pharaonin
Abdullahs Neffen, und funkelte seinen Vorarbeiter finster an. »Hier? Was zum Teufel soll das heißen? Warum hast du einen Fremden an Bord gelassen, wo doch die Familie unter sich sein will? Schick ihn weg.«
»Er hat darauf bestanden …«, setzte Abdullah an.
Das war ein schwerer Fehler, und er hätte es besser wissen müssen. Emersons Gebrüll ließ mir die Ohren klingeln:
»Darauf bestanden? Wo ist er? Zum Teufel, dann werfe ich ihn eben eigenhändig über Bord!«
Abdullahs Lippen unter seinem Bart zuckten. »Damit wären selbst deine Kräfte überfordert. Er ist auf dem oberen Deck.«
Emerson stürmte die Treppe hinauf. Ich folgte ihm auf den Fersen, denn ich durfte nicht zulassen, daß ein Besucher meinem Gatten in seinem augenblicklichen aufgebrachten Zustand in die Hände fiel. Mir war der Gedanke gekommen, daß »Mr. Saleh« uns womöglich einen zweiten Besuch abstattete. Aber ich tat diesen Einfall sofort ab. Nur ein außergewöhnlich wichtiger Mann hätte Abdullah dazu bringen können, Emersons Befehl zuwiderzuhandeln. Der Kehdive? Der britische Generalkonsul? Lord Kitchener? In seiner momentanen Stimmung wäre Emerson durchaus in der Lage gewesen, eine dieser bedeutenden Persönlichkeiten – oder alle drei – über Bord zu werfen.
Das Oberdeck, das über den Kabinen lag, war mit Liegestühlen, Diwanen, Sonnensegeln und kleinen Tischen in eine Art Salon im Freien verwandelt worden. Meinem geschulten Hausfrauenauge entging nicht, daß die Sonnensegel durchhingen und die Teppiche farblich überhaupt nicht zu den Polstern der Liegestühle paßten. Doch meine eigentliche Aufmerksamkeit galt dem Menschen, der sich auf dem größten Diwan ausgestreckt hatte – wie ich befürchte, war dieser immer noch zu klein, um seinem Gewicht lange standzuhalten.
Der Gast beanspruchte die gesamte Fläche des Möbelstücks; Kopf und Schultern hatte er mit einem Haufen Kissen gestützt, direkt unter seinem Kinn wölbte sich ein gewaltiger Leib. Im Gegensatz dazu waren seine Füße zierlich wie die einer Frau und steckten in Pantoffeln, die so üppig mit Gold und Pailletten bestickt waren, daß man den Stoff darunter nicht sehen konnte. Ein Smaragd von der Größe eines Hühnereis schmückte seinen Turban aus Goldstoff. Im Gegensatz dazu war sein hellgraues, zeltartiges Gewand aus changierendem Samt fast mönchisch schlicht und wies nicht einmal eine Borte auf. Hinter ihm kauerten, reglos wie Statuen, zwei Männer in einer Art Livree, die aus weiten Hosen, passenden Westen und Turbanen, alles in unauffälligem Grau, bestand.
Emerson war wie angewurzelt stehengeblieben. »So«, sagte er. »Sie leben also noch. Ich hoffte, einer Ihrer zahlreichen Feinde hätte Ihnen inzwischen den Garaus gemacht.«
Obwohl der ganze Mann wegen seiner Körperfülle einem gestrandeten Wal ähnelte, war sein Gesicht keineswegs fett. Seine Züge wirkten eher derb, besonders der glattrasierte Kiefer und das Kinn, das hervorstand wie eine Tierschnauze. Als er den Mund öffnete, erkannte ich, daß seine Zähne so gelb waren wie altes Elfenbein.
»Höflich wie immer, Vater der Flüche«, sagte er in einem Englisch, das fast so tadellos war wie Emersons. »Möchten Sie mich nicht der verehrten Sitt, Ihrer Gattin, und Ihren hübschen, begabten Kindern vorstellen?«
Wie ich erwartet hatte, waren die hübschen, begabten Kinder uns gefolgt. Offenbar war der Besucher sehr von ihnen beeindruckt, vor allem von Nefret, die er unhöflich anstarrte, bis Emerson vor das Mädchen trat, wie um es vor diesem aufdringlichen Blick zu schützen.
»Nein, das werde ich nicht«, sagte er. »Nefret, wir kommen gleich hinunter in den Salon. Ramses, begleite sie.«
Wenn Emerson diesen Ton anschlägt, wagt nicht einmal Ramses, ihm zu widersprechen. Der Besucher lachte. »Dann mache ich mich eben selbst bekannt. Wer Sie sind, weiß ich, Sitt Hakim, denn Ihr Ruhm hat sich in den Suks und Palästen verbreitet. Ich bin Giovanni Riccetti.«
»Du meine Güte. Natürlich kenne ich Ihren Namen.« Und das verhielt sich wirklich so, denn Emerson hatte ihn schon öfter erwähnt. Riccetti war einst der berüchtigtste Antiquitätenhändler Ägyptens gewesen.
»Zuviel der Ehre, Sitt. Schon lange freue ich mich auf diesen Augenblick.«
»Lassen Sie das«, mischte sich Emerson ein. »Was tun Sie hier? Es heißt doch, Sie hätten sich aus dem Geschäft zurückgezogen.«
»Das stimmt auch. Ich lebe in mönchischer Abgeschiedenheit und genieße die bescheidenen Früchte meiner
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