Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses
charmantes Kompliment zu formulieren, und kehrte zu seiner vorbereiteten Rede zurück. »Ich hoffe, ich habe mich nicht geirrt, wenn ich glaubte, daß Sie mit mir reden wollten?«
»Du hast dich nicht geirrt.« Sie deutete auf einen Tisch, der halb hinter Topfpflanzen verborgen war. »Willst du dich nicht setzen? Ich habe dir viel zu erzählen.«
»Es macht Ihnen hoffentlich nichts aus, wenn David dabei ist?« sagte Ramses und rückte ihren Stuhl zurecht. »Er ist mein bester Freund und absolut vertrauenswürdig.«
Er war sich ziemlich sicher, daß es ihr etwas ausmachte, aber sie hatte bessere Umgangsformen als Bellingham. Sie zwang sich zu einem Lächeln, schüttelte David die Hand und deutete ihm, sich zu ihnen zu gesellen.
Dann blickte sie ab und zu verstohlen über ihre Schulter, als fürchtete sie eine Unterbrechung, während sie ihm die Geschichte erzählte, die er später seiner Mutter mitteilte.
»Was soll ich denn tun?« fragte sie verzweifelt. »Er steht vollkommen unter ihrem Einfluß. Er hört nur auf sie und macht jede ihrer Launen mit. Ich fürchte um seinen gesunden Menschenverstand, Ramses. Sie machen es jede Nacht …« Ihr versagte die Stimme. Sie verbarg ihr Gesicht hinter einem Taschentuch.
»Machen was?« wiederholte Ramses unwillkürlich. »Tischrücken«, sagte Enid. »Spiritistische Sitzungen, um mit dieser – dieser verfluchten toten Frau zu sprechen!«
Ramses blinzelte. »Aber, Mrs. Fraser …«
»Bitte, nenn mich Enid. Es ist mir unmöglich, dich mit Mr. Emerson anzureden, und ich kann nicht Ramses zu dir sagen, wenn du nicht auch meinen Vornamen verwendest.«
»Nun, äh – danke. Was ich sagen wollte, war, daß – ich hoffe, Sie verzeihen mir – Sie fast so klingen, als glaubten auch Sie daran.«
»Ich gebe zu, daß es vielleicht so klang«, meinte Enid.
»Man verflucht schließlich kein Phantom, nicht wahr?
Für ihn ist sie real genug. So real, daß sie ihn mir weggenommen hat, sein Herz, seine Seele und …« Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, trotzdem bemerkte er, daß ihre Wangen von einer glühenden Röte überzogen waren. Er hatte das entsetzliche Gefühl, daß auch er errötete.
Meinte sie möglicherweise … Sicherlich nicht. Keine Dame würde ein solch delikates Thema anschneiden. Gänzlich beschämt von seinen schlechten Gedanken, räusperte er sich.
»Mrs. Fraser – Enid, wenn Sie erlauben – dann sollten Sie das Thema mit meinen Eltern besprechen. Meine Mutter hat für Spiritismus nur wenig übrig und mein Vater verabscheut ihn. Sie verfügen über beträchtliche Erfahrung in solchen Fällen und können Mr. Fraser sicherlich wirksamer beeinflussen als ich. Obwohl ich Ihnen selbstverständlich in jeder nur erdenklichen Form helfen … äh.«
Enid senkte den Kopf und wühlte in ihrer bestickten Abendtasche. »Das ist ein hervorragender Vorschlag, Ramses. Ich hatte vor, genau das zu tun. Jetzt muß ich umkehren, bevor man mich vermißt. Vielen, vielen Dank.«
Sie erhob sich und reichte ihm ihre Hand. »Ich habe doch gar nichts getan«, fing er an.
»Du hast mir zugehört«, murmelte sie. »Der Trost eines verständnisvollen Zuhörers ist größer, als du dir vorstellen kannst. Wir werden uns hoffentlich bald wiedersehen.«
Sie entschwebte und ließ Ramses zurück, der auf das zusammengefaltete Stück Papier starrte, das sie ihm in die Hand gedrückt hatte.
David hatte doch Sinn für Humor, auch wenn er möglicherweise nicht zu der Art zählte, die seine Adoptivtante gebilligt hätte. Ramses warf ihm einen wütenden Blick zu. »Worüber lachst du eigentlich?«
»Ich lache nicht«, protestierte David. »Jedenfalls versuche ich das mit allen Mitteln. Wie schaffst du das eigentlich? Zwei an einem Abend.«
Ramses drehte sich um und marschierte in Richtung Tür. Als sie schließlich am Boot angelangt waren, hielt es David für sicher genug, wieder zu sprechen.
»Ich möchte mich entschuldigen«, sagte er in englischer Sprache. »Ich hätte mich über die Dame nicht lustig machen dürfen.«
»Das ist beileibe keine spaßige Angelegenheit«, sagte Ramses niedergeschlagen. »Die hinterlistige Frau saugt Mr. Fraser aus – sein Vermögen, sozusagen. Verflucht! Ich hätte gar nicht vermutet, daß die englische Sprache so viel Doppeldeutigkeit besitzen kann. Mrs. Fraser ist einsam und verängstigt, und in mir sieht sie das Kind, das sie früher einmal bewunderte. Ich nehme an, daß es einfacher ist, einem Kind sein Herz auszuschütten, aber Mutter weiß
Weitere Kostenlose Bücher