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Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses

Titel: Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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dich«. Die Vorstellung wäre allerdings wesentlich beeindruckender gewesen, wenn sie sie nicht mit den Worten beendet hätte: »Wie war das, mein Junge?«
    »Vielleicht sollten Vater und ich es ab jetzt dir überlassen«, war die Antwort.
    Unsere Gesichter waren jedoch alle ernst und würdevoll, als wir uns rund um das offene Portal versammelt hatten. Genau in diesem Moment göttlicher Vorsehung wurde ein Sonnenstrahl von einem Stück Blech, das einer der Männer festhielt, reflektiert und fiel geradewegs auf das Haupt der toten Gestalt.
    Doch die langen Strähnen gelockten Haars schimmerten nicht.
    Schmuck aus sorgfältig verarbeitetem Menschenhaar war in der neueren Vergangenheit populär gewesen. Ebenso üblich wie die Sitte, die Locke eines geliebten Menschen hinter Glas, in einem Medaillon oder Ring aufzubewahren. Mein Vater hatte mir ein Medaillon geschenkt, das eine rabenschwarze Locke meiner Mutter enthielt. Ich verehrte es wie eine heilige Reliquie, aber ich trug es nie. Das Haar war stumpf und glanzlos.
    Genau wie dieses Haar. Das verhüllte Gesicht war nicht weniger beunruhigend. Jetzt konnte ich Details erkennen, die durch die Schatten des Kerzenlichts verborgen gewesen waren – die geschwungenen Wangenknochen, die vollen Lippen. Unfaßbar, dachte ich bei mir. Der Seidenstoff war ausgeblichen und begann zu zerfallen; er hatte die Büste und die schlanken Glieder über Jahre hinweg bedeckt. Die zarte Gesichtshaut konnte unmöglich erhalten geblieben sein.
    Ich hörte Nefrets unterdrücktes Schluchzen. Emerson, dessen kühle Fassade ein extrem weiches Herz verbirgt, schniefte laut. So nackt und unvollendet, so leer und schmucklos wie sie war, mochte keiner von uns den ersten Schritt in diese letzte Ruhestätte der Toten wagen.
    Außer natürlich Ramses. Er schlüpfte an seinem Vater vorbei und ging auf die liegende Gestalt zu. »Ramses, du könntest wichtige Hinweise … äh … Artefakte zerstören. David, wie lange dauert es, bis du eine Skizze angefertigt hast?«
    »Ich mache es, so schnell ich kann, Sir«, lautete seine leise Antwort.
    Nachdem er seine Zeichnung vollendet und Nefret mehrere Aufnahmen gemacht hatte, erkundeten Emerson und ich den kleinen Raum. Es war ein merkwürdiger Ort, kaum zwei Meter breit und vier Meter lang. Die Oberfläche des Bodens bestand nicht aus glattem Stein, sondern einer Lage kleinerer Kiesel, die fest in die Erde eingestampft worden waren. Die gewölbte Decke fiel vom Eingang her scharf zum Boden hin ab. An den Seitenwänden war der Stein geglättet worden, aber es fehlte jede Spur einer Inschrift oder Malerei.
    »Das muß genügen«, sagte Emerson schließlich und bedeutete David, seine Stifte einzupacken. »Du kannst heute abend zu Hause eine detaillierte Farbzeichnung anfertigen, bevor ich …« Er zögerte einen Augenblick. »… es auswickle.«
    »Wie willst du sie – es – dorthin schaffen?« fragte ich.
    »Es tragen, selbstverständlich«, lautete die Antwort. »Das Rumpeln einer Kutsche oder einer Karre könnte es beschädigen.«
    »An all den starrenden Touristen vorbei?«
    »Wenn du eine Alternative weißt, bin ich dir dafür selbstverständlich dankbar.«
    Ich erwiderte nichts, und Emerson sagte: »Sie sehen doch weiter nichts als eine Holzkiste, Peabody. Ich habe Wolldecken mitgebracht, um es zu bedecken und auszupolstern.«
    Ich hatte den Stapel Decken gesehen und mich gefragt, womit wir uns in der Nacht zudecken sollten. Wenn Emerson dachte, daß er sie sofort wieder auf die Betten legen könnte, hatte er sich gewaltig geirrt.
    Allerdings war die Entscheidung gefallen, und er hatte wirklich keine Alternative gehabt. Niemand konnte bestimmen, wie zerbrechlich die Überreste waren, solange wir sie nicht hochgehoben hatten.
    Emerson wandte sich wieder an mich. »Geh nach oben und tu dein Bestes, um dieses Gesindel loszuwerden, Peabody. Nefret, begleite deine Tante Amelia und sag Ibrahim, daß er die Kiste herbringen soll.«
    Ich wußte, warum er mich wegschickte, und beneidete ihn nicht um die Aufgabe, die vor ihm lag: das glanzlose, stumpfe Haar zu packen, den ganzen Körper anzuheben und zu hoffen, daß er nicht auseinanderbrach. Bislang hatte es niemand gewagt, die ruhende Gestalt zu berühren; denn jeder von uns wußte, daß sie bei der kleinsten Bewegung zu Staub zerfallen konnte.
    Nefret folgte mir kommentarlos, obwohl sie sich normalerweise dagegen gewehrt hätte, weggeschickt zu werden. Sie war an Mumien und Leichen gewöhnt – unsere Familie

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