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Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses

Titel: Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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für das Auftauchen dieser Leiche. Bei der Verbrechensaufklärung muß man sich immer die Frage stellen: Cui bono ?« Ich übersetzte diesen Ausdruck für David, dessen Latein nicht besonders gut war. »Wer profitiert davon? Jetzt überlasse ich es euch, wer von der Entdeckung der Leiche einer Frau profitiert, die jung und schön, in seidene Gewänder gehüllt ist …«
    Ein zischendes, schäumendes Geräusch und ein unterdrückter Fluch von Emerson ließen mich innehalten. Er stand am Tisch und sprühte Soda in sein Glas. Er wandte sich um. Die Flüssigkeit tropfte von seinem Kinn und seiner Nasenspitze.
    »Du mußt vorsichtig sein, Liebster«, rief ich. »Stimmt etwas nicht mit dem Sodasiphon?«
    »Nein«, sagte Emerson. »Nein, Peabody. Mit mir scheint etwas nicht zu stimmen – mit meinem Gehör oder vielleicht mit meinem Verstand. Willst du damit ernsthaft andeuten, daß Mrs. Whitney-Jones diese Leiche in dieses Grab gelegt hat, damit sie sie im geeigneten Augenblick wieder zum Vorschein bringen konnte, um Donald Fraser davon zu überzeugen …« Seine Stimme brach ab. »Um ihn davon zu überzeugen …« Er war nicht imstande fortzufahren. Hilflos an den Tisch gelehnt, lachte er, bis ihm die Luft wegblieb.
    Ich trat zu ihm und klopfte ihm auf den Rücken. »Es freut mich ja so, daß ich dich herzhaft zum Lachen gebracht habe, mein Lieber. Laßt uns zu Abend essen, und dann – dann werden wir der Wahrheit einen Schritt näher sein.«
    Das war ein versteckter Hinweis auf die undankbare Aufgabe, die noch vor uns lag. Niemand hatte so richtig Appetit; Nefret stocherte lustlos in ihrem Essen herum. Ich hatte beinahe schon gehofft, daß die Mumie trotz allem nur ein geschmackloser Scherz war – ein Haufen Stöcke und Füllmaterial zur Täuschung –, aber ich ahnte, daß die Chancen auf eine so harmlose Entdeckung gering waren. Der Colonel hatte irgend etwas an diesem Körper wiedererkannt – das Haar oder, was noch wahrscheinlicher war, den Stoff. Als liebender Bräutigam hatte er vielleicht genau dieses Kleid für seine Zukünftige ausgesucht. Nach dem Abendessen versammelten wir uns um den langen Tisch in dem Raum, wo Nefret normalerweise ihre Photographien entwickelte. Die Fenster konnten fest geschlossen werden und waren es jetzt auch. Emerson wollte jedes Risiko ausschließen, daß unsere Aktivitäten beobachtet wurden.
    Es war heiß, und die Gesichter der Anwesenden glänzten vom Schweiß. Außer uns waren noch Howard Carter und Cyrus Vandergelt zugegen. Ich war diejenige gewesen, die Emerson vorgeschlagen hatte, unparteiische Zeugen hinzuzubitten, aber nachdem er mir umgehend zugestimmt hatte, war mir klar, daß er denselben sinnvollen Gedanken gehabt hatte. Cyrus und Howard hatte ich die Situation nach dem Essen bei einem Glas Brandy erklärt. Es gibt nichts, was so gut wirkt wie Brandy (außer natürlich Whiskey-Soda), um die Auswirkung schockierender Nachrichten abzumildern.
    Warum, so frage ich mich, berühren uns die Leichen unserer Zeitgenossen wesentlich stärker als die Überreste eines lange Verstorbenen? Es besteht eigentlich kein Unterschied; ein Mensch hat aufgehört zu existieren, und was bleibt, ist nur eine Hülle, ein leerer Kokon. Für niemanden von uns bedeuteten Mumien etwas Ungewöhnliches. Aber Nefrets rosige Wangen waren blasser als sonst, und die Gesichter der Männer wirkten ernst und angespannt. (Außer natürlich Ramses, der selten irgendeine Reaktion zeigt.)
    Das namenlose Bündel lag vor uns auf dem Tisch, ausgetrocknetes, bleiches Haar umrahmte das stumme Gesicht. Mein Blick wanderte unwillkürlich zu Davids Wasserfarbskizze, die auf einer Staffelei zum Trocknen hing. Er hatte das ausgeblichene Blau der Umhüllung und das strohige Haar ganz genau getroffen, aber das war es nicht allein. Alle guten Kopisten – wie beispielsweise Howard Carter oder meine liebe Schwägerin Evelyn – besitzen die Fähigkeit, nicht nur das Objekt zu zeichnen, sondern auch die Atmosphäre einzufangen. Davids Zeichnung hätte ohne weiteres zur Illustration eines Liebesromans über das klassische Ägypten verwendet werden können. Wenn Ramses ihn nicht in dieses abscheuliche Genre eingeführt hatte, konnte David es auch nicht kennen; trotzdem hatte er, unabhängig von einer genauen Wiedergabe, den gleichen Aspekt eingefangen, den ich schon früher bemerkt hatte.
    Ich glaube, Emerson war der einzige, der ahnte, was wir zu sehen bekämen. Er war der einzige, der sich mit dem Leichnam abgegeben hatte –

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