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Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses

Titel: Amelia Peabody 09: Ein Rätsel für Ramses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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antrifft, sondern etwas ähnliches wie ein Leichenhemd, das gelb und mit häßlichen braunen Flecken übersät war.
    »Rost«, sagte ich.
    »Kein Blut?« fragte mein Sohn.
    »Nein. Solche Flecken entstehen, wenn feuchter Stoff lange mit Metall in Berührung war – beispielsweise mit Haken und Ösen und anderen Befestigungen. Diese Hülle, meine Herren, war einmal ein Damenunterkleid.«
    »Aber es bedeckt sie vom Hals bis zu den Knöcheln«, wandte Cyrus ein.
    »Ein Damenunterkleid besteht aus bis zu acht Metern Stoff«, erklärte ich. »Und wird mit einem Taillenband zusammengehalten, das in unserem Fall allerdings zerschnitten wurde. Hier können Sie immer noch das Kräuselband erkennen«, ich deutete darauf, »und dort auch. Das Band wurde durchgetrennt, und dann wurde ihr das Ganze wie ein Totenhemd übergestreift. Das Material ist feinster Batist – Baumwolle sagt Ihnen vielleicht mehr, meine Herren – und scheint kaum getragen worden zu sein.«
    »Er hat ihre eigenen Kleidungsstücke verwendet«, murmelte Howard und fuhr sich mit seinem Taschentuch über die feuchte Stirn. »Ich kann mir nicht erklären, warum das so furchtbar ist, aber …«
    »Kommen Sie, Carter, nehmen Sie sich doch zusammen«, tadelte Emerson den jungen Mann und bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. »Peabody, ist es nicht üblich, daß die Damen ein Namensschild oder ihre Initialen in ein Kleidungsstück einnähen, bevor es in die Wäscherei gebracht wird?«
    »Es ist mir unverständlich, woher du so etwas wissen kannst, wo ich doch diejenige bin, die diese Aufgabe bei deinen Hemden und deiner Unterwäsche wahrnimmt«, entgegnete ich. »Trotzdem hast du recht. In diesem Fall hätte der Name vermutlich auf dem Taillenband gestanden. Hat es möglicherweise jemand entfernt, um ihre Identität zu verbergen?«
    »Wir werden sehen«, sagte Emerson.
    Lage um Lage wurde der Stoff durchtrennt und beiseitegeschoben. Insgesamt waren es zehn Lagen, und jede war feiner als die vorhergehende, mit eleganter Spitze oder Stickerei eingefaßt. Die letzte Hülle war aus Musselinstoff, der fast so zart wie Seide war; daß sie die letzte sein mußte, war uns allen klar, denn sie verbarg nichts mehr, sondern bedeckte lediglich die darunterliegende Körpersilhouette. Emerson griff wieder zur Schere. Seine langen, großen und doch behutsamen Finger hielten an der knochigen Schulter einen Augenblick inne.
    »Wenn Sie lieber wegsehen wollen, Vandergelt, dann tun Sie’s jetzt«, sagte er und fing an zu schneiden. Es war kein nackter Körper, der sich uns darbot, als er die letzte Schicht beiseiteschob. Es war schlimmer – eine Karikatur weiblicher Reize und Schönheit, eine makabre Kommentierung der Eitelkeit der Frau. Diese Kleidungsstücke sollten nichts verbergen, sondern anregen und einladen. Aus zartester hellrosa Seide enthüllten sie die knochige Statur mit ihrer dürren, abgeschlafften Muskulatur. Ein Hauch transparenter Spitze betonte die Schultern, die einstmals sicher weiß und wohlgerundet gewesen waren und jetzt wie altes gegerbtes Leder aussahen. Die Arme waren in eine Position gebracht worden, wie ich sie von klassischen Beispielen her kannte: Die Hände bedeckten schamhaft das Dreieck von Schenkeln und Torso. Cyrus drehte sich mit einem unterdrückten Stöhnen um, und Nefret hatte ihre Augen vor Mitgefühl und Entsetzen weit aufgerissen. Selbst Emerson zögerte, die Schere in seiner Hand lag reglos auf dem Körper.
    Es war Ramses’ Hand, der den zarten Stoff sorgfältig zur Seite schob. Zwischen ihren verwelkten Brüsten war die Haut von einer tiefdunklen Narbe gezeichnet. »Daran ist sie also gestorben«, sagte er. »Eine scharfe Klinge hat diesen Schnitt ausgeführt; er muß sie direkt ins Herz getroffen haben. Die Wunde ist mit ganz normalem Faden zusammengenäht worden. Möglicherweise mit ihrem eigenen Nähzeug?«
    Seine teilnahmslose Stimme reizte mich, ihm zu widersprechen. Ich beugte mich über den Körper, um ihn genauer zu untersuchen. »Eine wohlhabende Dame repariert ihre Bekleidung nicht selbst. Das scheint weißes Baumwollgarn zu sein, das viel zu dick ist für solch zarte Fasern wie Seide und Musselin.«
    »Genug«, mischte Emerson sich ein. Er legte eine Dekke über den Körper. »Wir haben alles erfahren, was wir wissen müssen. Du hattest recht, Peabody. Verflucht! Kein Unfall hätte eine solche Wunde verursacht. Sie wurde ihr mit einem langen, scharfen Messer von jemandem zugefügt, der mit solchen Waffen umgehen kann.

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