Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
einzige Weg, den wir nehmen können. Hier entlang.«
Von seinem Arm gestützt, schritt ich zum Fenster. »Ich gehe voraus«, sagte er, während er die Fensterläden öffnete. »Ich befürchte, Sie werden sich fallen lassen müssen. Es gibt zwar eingelassene Fußtritte, die aber in der Dunkelheit schwer zu finden sind. Ich werde versuchen, Sie aufzufangen.«
Ohne jeden weiteren Kommentar schwang er sich ins Freie und verschwand in der Dunkelheit. Ich lehnte mich aus dem Fenster und wartete auf seine leise Aufforderung, bevor ich ihm folgte. Er hatte die Arme ausgebreitet, um mich aufzufangen, aber entweder hatte er mein Gewicht unterschätzt, oder er war ausgerutscht, denn wir stürzten gemeinsam zu Boden.
Sethos richtete sich auf und zog mich hoch. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß er lachte. Der Regen hatte nachgelassen, aber der Sturm heulte immer noch, und es war so finster, daß ich seine Gestalt kaum erkennen konnte. Genau wie ich war er von einer Schlammschicht bedeckt. Ein Wasserschwall lief über meine Füße. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand. Die Finsternis war wie eine Wand, da dunkle Wolken den Mond und die Sterne verdeckten. Die einzig greifbaren Gegenstände innerhalb des Universums waren die Hauswand hinter mir und die kräftige, nasse Hand, die meine umklammerte und mich weiterzog. Der Nordwind war so stark, daß er einen geradezu umpustete, und so kalt, daß er einem durch Mark und Bein ging. Der Boden war glitschig vom Schlamm und sehr uneben. Wir stolperten durch Dutzende kleiner Pfützen, wateten durch Rinnsale, rutschten ständig aus und rappelten uns immer wieder hoch. Trotzdem bereute ich keine Sekunde lang, daß ich den trockenen, schützenden Raum hinter mir gelassen hatte.
Als wir schließlich unser Ziel erreichten, war mir die Umgebung bekannt. Wir hatten armselige Häuser hinter uns gelassen und beleuchtete Fenster gesehen; die Landschaft war mir wieder vertraut. Ich bewunderte den Mut dieser Frau. Sie hatte mich nach Gurneh in das Haus zurückgebracht, das ihr ursprüngliches Hauptquartier in diesem Dorf gewesen war. Vielleicht war es gar nicht so mutig gewesen; das Haus war bereits gründlich durchsucht worden und wirkte nun verlassen. Wenn ich schon früher geahnt hätte, wo ich mich befand, wäre ich meinem Gefährten entwischt und hätte in Selims Haus Zuflucht gesucht, das sich unweit von diesem befand. Wohin brachte er mich? Stolpernd und krabbelnd hatten wir uns schon eine ganze Weile vorwärts bewegt – mir kam es wie eine Ewigkeit vor.
Plötzlich blieb Sethos stehen und faßte mich bei den Schultern. Sein Gesicht war dem meinen sehr nah, als er bemerkte: »Sie sind so glitschig wie ein Fisch, meine Liebe, und so kalt wie ein Eisblock, deshalb will ich Sie nicht länger mit Höflichkeitsfloskeln aufhalten. Da ist die Tür – sehen Sie sie? Versuchen Sie nicht, mir zu folgen. Gute Nacht.«
Ihm zu folgen hätte meine Kräfte überstiegen. Meine Zähne klapperten heftig, und meine nassen Kleidungsstücke fühlten sich an wie ein Eispanzer. Ich sehnte mich nach Wärme, Sauberkeit und trockenen Sachen, Licht und vertrauten Gesichtern. Alles das erwartete mich im Innern. Es war Abdullahs Haus. Ich stolperte zur Tür und drückte den Riegel hinunter.
Das Licht aus den qualmenden Öllampen war nach der ganzen Finsternis so hell, daß ich meine Augen mit einer Hand bedeckte. Meine plötzlich auftauchende Erscheinung – und was für eine Erscheinung! – ließ sie vorübergehend erstarren. Sie waren beide zu Hause – Daoud und Abdullah – und saßen Kaffee trinkend und rauchend auf dem Diwan. Daoud mußte mich für ein Nachtgespenst gehalten haben, denn er schrak mit einem Aufschrei zusammen.
»Ich muß mich für mein Erscheinungsbild entschuldigen«, sagte ich.
Ich war wohl etwas benommen, ansonsten hätte ich mir eine solch absurde Bemerkung verkniffen. Abdullah stieß ebenfalls einen Schrei aus, und Daoud sprang auf und eilte zu mir. Abwehrend streckte ich meine Hand aus. »Faß mich nicht an, Daoud, ich bin voller Schlamm.«
Dessenungeachtet hob er mich hoch und drückte mich an seine Brust. »Oh, Sitt, du bist es! Allah sei Dank, Allah sei Dank!«
Langsam schlenderte Abdullah auf uns zu. Sein Gesichtsausdruck schien ungerührt, doch als er mir seine Hand auf die Schulter legte, zitterte diese. »Also bist du wieder da. Das ist gut. Ich hatte keine Angst um dich. Aber ich bin … ich bin froh, daß du hier bist.«
Sie überließen mich Kadija,
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