Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
hielt ihn fest, als er vornübersackte. »Wo ist sie?«
Sir Edward schüttelte den Kopf. Seine Unbekümmertheit war der edelmütige Versuch gewesen, mich zu beruhigen – und vielleicht auch sich selbst! Jetzt, wo Rettung nahte, übermannte die neu erwachte Hoffnung seine Stimme und seinen Körper. »In Luxor vermutlich. Sir … es tut mir leid …«
»In Ordnung. Warten Sie einen Augenblick.« Er schritt zum Bett, stemmte die Hände in die Hüften und blickte auf mich herab. »Guten Abend, Mrs. Emerson. Darf ich mir die Kühnheit erlauben …«
Ich wurde starr, als seine Hände meine Taille berührten. Mit einem ironischen Grinsen richtete er sich auf und ließ seine Arme sinken. »Verzeihung. Mir war entgangen, daß Sie nicht ihr übliches Arsenal bei sich tragen. Welch herrliche Erinnerungen verbinde ich mit diesem Werkzeuggürtel!«
Er machte sich über mich lustig. Sethos entging nur selten etwas.
Er nahm den Becher Bier, roch daran und rümpfte angeekelt die Nase. »Keineswegs so schmackhaft wie Ihr Brandy, Mrs. Emerson, oder so wirkungsvoll, aber etwas anderes haben wir nicht. Ich hoffe, Sie sehen über meine mangelhaften Umgangsformen hinweg, wenn ich vorschlage, daß Edward es dringender braucht als Sie.«
Vielleicht war es wirklich Durst oder die Erleichterung über seine Rettung – jedenfalls leerte Sir Edward den Becher mit dem gräßlichen Getränk, und Sethos nickte zufrieden.
»Sie gehen jetzt. Nehmen Sie den Weg, den ich gekommen bin. Dank des Unwetters ist niemand in der Nähe. Sie wissen, wo Sie mich treffen.«
»Ja, Sir. Aber wollen Sie denn nicht …«
»Ich werde mich um Mrs. Emerson kümmern. Verschwinden Sie endlich.«
Sir Edward erhob sich schwankend und schlenderte zum Fenster. Er blieb kurz stehen und verbeugte sich vor mir, dann öffnete er die Fensterläden und kletterte hinaus in den strömenden Regen. Ich hatte das Gefühl, daß er ebenso gehorsam in einen brodelnden Vulkan hinabgestiegen wäre, hätte Sethos das von ihm verlangt.
Mit dem Federmesser durchtrennte Sethos meine Fußfesseln. Dann setzte er sich ungefragt zu mir auf das Bett und inspizierte die Kette und das Vorhängeschloß. »Haarnadeln, Amelia? Irgendwann sind Sie noch mein Tod. Denken Sie darüber nach, Sie hätten es schon einmal fast geschafft. Hmmm. Was haben wir denn hier. Ein primitives Schloß, das, so glaube ich, für Haarnadeln allerdings unüberwindlich ist. Aber lassen wir das Vorhängeschloß, ich werde einfach die Handschellen öffnen.« Mit großem Interesse beobachtete ich, wie er den Absatz seines Stiefels entfernte und den Inhalt des darunter befindlichen Hohlraums untersuchte.
»Ramses hat etwas Ähnliches konstruiert«, bemerkte ich, als seine flinken Finger einen schmalen, kaum zehn Zentimeter langen Stahlnagel herausnahmen.
»Das hat er mir zu verdanken«, murmelte Sethos. Er schob das Ende des Stahlnagels in den Verschluß der Handschellen. Er sprang auf. »Hätte ich gewußt, wie sich der junge Mann entwickelte, hätte ich alles darangesetzt, ihn von der Verwendung meiner Ausstattung abzuhalten. Mittlerweile ist er … Aha.«
Beide Handschellen waren geöffnet. Sethos’ Gesicht verdunkelte sich, als er die Male auf meinen Handgelenken bemerkte, doch er sagte lediglich: »Ein alter Zaubertrick, meine Liebe. Falls Emerson junior diese Inspirationsquelle noch nicht nutzt, lege ich ihm das wärmstens ans Herz. Und jetzt lassen Sie uns gehen.«
Ich wollte gerade fragen, wohin, kam aber zu dem Schluß, daß jede Alternative meinem derzeitigen Aufenthaltsort vorzuziehen war. Die mir von ihm angebotene Hand ignorierend, schwang ich meine Füße aus dem Bett und erhob mich. Die überzeugende Wirkung dieser Geste wurde von der Tatsache zunichte gemacht, daß meine tauben Gliedmaßen ihren Dienst quittierten. Ich wäre gestürzt, wenn er mich nicht aufgefangen hätte. Er war immer noch tropfnaß. Die Feuchtigkeit seines Hemdstoffs drang durch mein dünnes Kleid. Einen Augenblick lang drückte er mich an sich, und ich spürte, wie sich sein Brustkorb in einem langen, gepreßten Atemzug hob. Meine Hände ruhten auf seinen Schultern, aber sie waren zu schwach, um sich gegen die angespannte Muskulatur seiner Arme und seines Brustkorbs entsprechend zur Wehr zu setzen. Ich war absolut hilflos, falls er versuchte, diese Situation auszunutzen.
Er atmete aus, senkte den Kopf und preßte seine Lippen auf mein schmerzendes Handgelenk. »Ich hoffe, Sie verzeihen mir dieses Wagnis, aber das hier ist der
Weitere Kostenlose Bücher