Amelia Peabody 10: Die Hüter von Luxor
habgieriger Blick ruhte auf dem glänzenden Berg Goldmünzen. Ramses warf einen raschen Blick von dem verschlossenen Fenster zu der verriegelten Tür. Mich sah er nicht an. Das brauchte er auch nicht; der Raum war so winzig, daß der dunkle Winkel, in den er mich befohlen hatte, in seinem Gesichtsfeld lag. Ich sah und hörte auch nichts Außergewöhnliches, doch ihm mußte irgend etwas aufgefallen sein, denn er sprang auf und packte mich, während die Fensterläden unter dem Gewicht eines schweren Körpers nachgaben.
Es war die Gestalt eines Mannes, dessen Gesicht hinter einem Schal verborgen war, der lediglich seine Augenschlitze freigab. Als er auf dem Boden auftraf, sprang er so flink wie ein Akrobat wieder auf. Ich meinte, daß ihm eine weitere Person folgte, doch noch ehe ich mich vergewissern konnte, packte mich Ramses unter den Arm und sprang zur Tür. David war bereits dort, in einer Hand die Schatulle mit dem Papyrus, in der anderen sein Messer. Er postierte sich an der Wand neben der Tür, die Ramses entriegelte und dann schleunigst beiseite trat. Die Tür sprang auf, und der Mann, der sich von außen dagegengestemmt hatte, stolperte ins Zimmer. David trat ihm in die Rippengegend, und er ging zu Boden. Ich war versucht, Ramses zu treten, da er mich wie ein Bündel Wäsche behandelte, statt mich an der Verteidigung teilhaben zu lassen, doch ich besann mich eines Besseren; er und David leisteten ganze Arbeit, und es wäre dumm (und möglicherweise tödlich) gewesen, ihre Strategie zu durchkreuzen. Die ganze Sache hatte nur Sekunden gedauert.
Der Berg Goldmünzen war die zweite Verteidigungslinie. Über Ramses’ Schulter hinweg sah ich ein verkeiltes Knäuel aus Armen und Beinen, da sich die Neuankömmlinge und Yussuf Mahmud mit Händen, Füßen und Messern um die Beute stritten. Sie kämpften auf einem goldenen Teppich; die Goldmünzen fielen vom Tisch und rollten über den Boden.
David hatte das Zimmer verlassen. Eine weitere Gestalt taumelte in den Raum, und David rief uns zu, daß wir ihm nachkommen sollten. Ramses schloß die Tür hinter uns.
»Ich hoffe, du hast ihn nicht mit der Papyrus-Schatulle getroffen«, bemerkte er auf arabisch.
»Wofür hältst du mich eigentlich?« Davids Stimme klang atemlos, aber dennoch belustigt.
»War er der letzte?«
»Ja. Sperr die Tür ab und komm endlich.«
Ramses ließ mich zu Boden gleiten. Im Treppenhaus war es stockfinster, doch ich hörte das Knarren des Schlüssels im Schloß. Ich bezweifelte, daß das die Männer lange in Schach hielt, denn die Tür war ziemlich morsch; doch wenn sie ihren Kampf um das Gold schließlich beendet hatten, war vermutlich niemand mehr in der Lage, uns zu verfolgen.
Wir schlichen die baufällige Treppe hinunter – David als erster, dann ich und schließlich Ramses. Als wir die enge Gasse betraten, bemerkte ich ein Licht, das mir zuvor noch nicht aufgefallen war. Die gegenüberliegende Tür stand offen. Die im Türrahmen stehende Gestalt war eindeutig weiblich; durch den dünnen Stoff ihres Kleides nahm ich jede ihrer üppigen Kurven wahr. Das Licht spiegelte sich in den Goldreifen in ihrem Haar und an ihren Armen.
David blieb abrupt stehen. Als er die Frau sah, entfuhr ihm ein Seufzer der Erleichterung. Aus Angst, dich zu schockieren, möchte ich nicht wiederholen, was er sagte, mein Schatz; aber ich bin froh, dir berichten zu können, daß David ihre Einladung so unverhohlen ablehnte, wie sie ausgesprochen worden war. Er wollte sich abwenden. Die Straße war sehr schmal; ein einziger Schritt, und sie stand vor ihm. Sie umschlang ihn mit ihren Armen – und ich schlug ihr mit meiner geballten Faust hinters Ohr, wie es mir Tante Amelia beigebracht hat.
Um es mit den Worten dieser liebenswerten Dame zu umschreiben: Das Ergebnis war überaus befriedigend. Die Frau ließ das Messer fallen und sank zu Boden. Eine weitere Silhouette erschien in der Türöffnung – diesmal war es ein Mann. Andere waren ihm auf den Fersen. In ihrer Eile versperrten sie einem weiteren den Weg, als dieser versuchte, durch den schmalen Eingang zu schlüpfen, was ein Glück für uns war, da meine beiden tatkräftigen Begleiter für Sekundenbruchteile wie erstarrt wirkten. Ich gab Ramses einen Schubs. »Lauf los!« sagte ich.
Wenn man sich in der Gegend auskennt, ist es keineswegs schwierig, in diesem Gewirr von gräßlichen Gassen und finsteren Straßen Verfolger abzuhängen. Ich hatte keine Ahnung, doch sobald Ramses seine fünf Sinne wieder
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