Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
Trauer?«
Geoffrey starrte mich mit unverhohlenem Erstaunen an. »Woher wissen Sie das?«
»Tante Amelia weiß alles«, bemerkte Nefret. »Man kann sie weder schockieren noch verblüffen, deshalb hör auf, um den heißen Brei herumzureden. Du bist fast ständig mit Jack zusammen. Er muß doch irgendeinen Hinweis geäußert haben.«
»Es ist so unlogisch, so ungerecht –«
»Er begnügt sich nicht damit, daß Maudes Tod ein Unfall war«, erwiderte Nefret. »Das ist keineswegs unlogisch. Uns befriedigt diese Theorie ebenfalls nicht. Hat Jack einen speziellen Verdacht?«
Der junge Mann sank in sich zusammen. »Ja. Das ist auch der wahre Grund für mein Kommen. Ich hatte das Gefühl, Ramses warnen zu müssen –«
»Weshalb?« Die Frage kam nicht von uns, sondern von Ramses persönlich, der auf rätselhafte Art und Weise wie aus dem Nichts auftauchte. Ich vermutete, daß er im Arbeitsbereich Tonscherben gewaschen hatte, denn seine Hemdsärmel waren bis zu den Ellbogen hochgerollt.
»Ich wußte nicht, daß du hier bist, Godwin«, fuhr er fort, während er sich einen Stuhl nahm. »Habe dich seit dem Begräbnis nicht mehr gesehen. Weshalb mußt du mich warnen?«
»Tu nicht so, als hättest du unser Gespräch nicht mit angehört«, warf ich ein, während ich Tee eingoß.
»Zwangsläufig habe ich einiges mitbekommen. Was behauptet Jack von mir?« Er nahm die Tasse aus meiner Hand, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander.
»Er ist nicht mehr Herr seiner Sinne«, murmelte Geoffrey. »Er ist unzurechnungsfähig.«
»Du meinst, er ist die meiste Zeit betrunken«, korrigierte Ramses. »In vino veritas – oder was er für die Wahrheit hält. Glaubt er immer noch, ich habe seine Schwester kaltblütig verführt und … Und was dann?«
»Und sie dann umgebracht!« Nachdem ihm dieser Satz entschlüpft war, hätte Geoffrey seine Worte am liebsten zurückgenommen. Ramses’ vorgetäuschte Überheblichkeit hatte ihn verärgert (was vermutlich so beabsichtigt war). Impulsiv drehte Geoffrey sich zu mir um und ereiferte sich: »Mrs. Emerson, verzeihen Sie mir! Ich wollte nicht so damit herausplatzen. Jack grämt sich vor Kummer und Schuldgefühlen. Wenn er wieder bei Sinnen ist, sieht er die Dinge klarer, aber augenblicklich ist er nicht normal, und ich befürchte, er könnte etwas tun, was er später bereut.«
»Etwas, was auch ich bereuen könnte?« bohrte Ramses. »Hat er Drohungen gegen mich geäußert?«
»Nicht nur Drohungen.« Mit zitternder Hand strich sich Geoffrey über sein Gesicht. »Letzte Woche hat er eines Abends seine beiden Pistolen herausgeholt, auf die er so stolz ist, und diese geladen.«
»Revolver«, murmelte Ramses nachdenklich. »Die Revolver.«
»Wie du meinst. Ich interessiere mich nicht für solche Dinge. Ich verabscheue Feuerwaffen. Mich beschlich ein ungutes Gefühl, als ich sah, daß er sie säuberte und polierte, als vergötterte er diese verfluchten Dinger. Schließlich schob er beide in seinen Gürtel und stürmte zur Tür. Ich wollte wissen, wohin er ging, und er sagte … Ich kann seine Worte nicht in Gegenwart von Damen wiederholen; Kernaussage war, daß er den Schurken suchen wollte, der seine Schwester ermordet hatte. Er ist wesentlich kräftiger als ich, und in diesem Augenblick war er außer sich, doch es gelang mir, die Tür vor ihm zu erreichen, abzuschließen und den Schlüssel an mich zu nehmen.«
»Wie entsetzlich mutig«, murmelte Ramses. Nefret warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.
Geoffrey zuckte die Schultern. »Nicht unbedingt. Mir war klar, daß er mich nicht mit der Waffe bedrohen würde. Wenn er nahe genug an mich herangekommen wäre, hätte er mich sicherlich zu Boden geschlagen, doch das gelang ihm nicht. Die Situation war ziemlich überspitzt und lächerlich – ich wich ständig aus und duckte mich und Jack verfolgte mich wie ein riesiger, tapsiger Bär. Schließlich war er erschöpft, und ich konnte ihm die Waffen wegnehmen. Ich tat es ihm und dir zuliebe.«
»Selbstverständlich. Aber«, meinte Ramses gedehnt, »ich werde etwas dagegen unternehmen müssen, nicht wahr? Jack zuliebe.«
»Red nicht solchen Unfug, Ramses«, erwiderte ich mit schneidender Stimme. »Solltest du dich mit dem Gedanken tragen, zu Jack zu gehen und ihn zu konfrontieren, dann vergißt du diese Idee besser. Ganz wesentlich ist, daß er mit dem Trinken aufhört. Überlaßt mir die Sache.«
»Jetzt gleich?« entfuhr es Geoffrey mit weit aufgerissenen Augen, als ich meinen
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