Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
Sahne in einen Unterteller goß und diesen auf den Boden stellte. Emerson hatte seinen Spaß daran, als das Kätzchen zu trinken versuchte und gleichzeitig schnurrte. Ich fand es weniger lustig, daß sie den Perserteppich mit Sahnespritzern bekleckerte.
»Mutter«, sagte Ramses, während er seine blutenden Finger gedankenverloren an seinem Hemd abwischte. »Ich wollte dich fragen –«
»Laß das«, entfuhr es mir. »Nimm eine Serviette. Gütiger Himmel, du bist genauso ungehobelt wie dein Vater; unmöglich, euch beide einmal in sauberen Hemden anzutreffen! Was wird Rose dazu sagen –«
»Warum bist du denn so ungehalten, Peabody?« wollte Emerson wissen. »Ich hoffe, du hast nicht wieder eine deiner berühmten Vorahnungen? Wenn doch, so will ich nichts davon wissen.«
Die Anrede mit meinem Mädchennamen machte mir klar, daß er sich trotz des unterschwelligen Vorwurfs bester Laune erfreute. Als wir uns das erste Mal begegneten, sprach er mich mit meinem Nachnamen an wie einen ebenbürtigen Wissenschaftler – soll heißen, einen Mann – , und das hatte sich im Verlauf der Jahre zu einem Barometer für Zuneigung und Anerkennung entwickelt. Ich nannte ihn auch nie bei seinem Vornamen Radcliffe, den er zutiefst verabscheut.
»Aber nein, mein Lieber«, erwiderte ich lächelnd. »Am heutigen Abend zählen für mich nur die Belange der liebevollen Freundin und Gastgeberin. Ich möchte, daß alles optimal verläuft! Wegen Selim mache ich mir eigentlich keine Gedanken, da er schon in England war und sich für einen Mann von Welt hält, aber Daoud befindet sich zum ersten Mal im Ausland, und Fatima war die meiste Zeit ihres Lebens eine konservative muslimische Ehefrau, eine verschleierte, unterdrückte Analphabetin. Ich fürchte, daß die vielen neuen Eindrücke sie überwältigen werden. Und wie wird sie mit Rose zurechtkommen?«
»Ich kann mir nicht vorstellen«, wandte Emerson ein, »warum Roses Meinung von einer solchen Bedeutung für dich sein sollte. Verflucht, Peabody, du beschwörst Probleme herauf, wo gar keine sind. Nach dem Tod ihres Mannes besaß Fatima den Mut, an dich heranzutreten und um ihre Einstellung als Haushälterin zu bitten; sie verfügte über die Intelligenz und Initiative, Lesen und Schreiben zu lernen, und sie spricht Englisch. Ich schätze, sie hat jeden Augenblick der Reise genossen.«
»In Ordnung, Emerson, ich gebe zu, daß ich nervlich etwas angespannt bin. Ich mag nicht, wenn Nefret im Dunkeln Auto fährt, noch dazu bei Regen und Nebel; ich mache mir Sorgen, daß sich unsere lieben Freunde erkälten – sie sind unser scheußliches naßkaltes Wetter nicht gewohnt. Ich mache mir Gedanken wegen der Hochzeit. Was, wenn die beiden nicht glücklich werden?«
Emersons Gesicht hellte sich auf. »Ach, das ist es. Vor einer Hochzeit geraten Frauen immer in Panik«, erklärte er Ramses. »Ich weiß zwar nicht warum, da sie zunächst darauf erpicht sind, die Leute unter die Haube zu bringen, doch sobald die Sache geklärt ist, überkommen sie plötzliche Aufregung und Besorgnis. Warum sollten Lia und David nicht glücklich werden?«
»Sie sind mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert, Emerson! Die gedankenlosen Europäer werden sie brüskieren und verletzen, und falls David der Antiquitätenfälschung verdächtigt wird –«
Ramses’ unterdrückter Aufschrei ließ mich innehalten. »Ach, mein Lieber«, bemerkte ich. »Ich hätte das nicht sagen sollen.«
»Zum Teufel, warum denn nicht?« knurrte Emerson. »Du weißt ganz genau, daß wir keineswegs beabsichtigten, das vor Ramses geheimzuhalten. Wir wollten lediglich einen günstigen Moment abpassen, das ist alles. Mach nicht so ein finsteres Gesicht, mein Junge.«
Ramses’ hochgezogene Augenbrauen, die so dicht und schwarz wie die seines Vaters sind, entspannten. »Und jetzt ist der günstige Moment gekommen, Sir?«
»Ganz offensichtlich«, bekräftigte Emerson. »David ist derjenige, der nichts davon erfahren darf – wenigstens vorübergehend. Peabody, darf ich dich bitten, den – äh – Gegenstand aus meiner Schreibtischschublade zu holen, während ich Ramses aufkläre?«
»Mach dir keine Mühe, Mutter«, bemerkte Ramses. »Ich schätze, das hier ist der besagte Gegenstand.«
Er zog den Skarabäus aus seiner anderen Manteltasche.
»Hölle und Verdammnis!« schnaubte Emerson. »In diesem Haus existiert nicht die Spur einer Privatsphäre! Vermutlich bist du darauf gestoßen, als du einen Umschlag oder eine Briefmarke in meinem
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