Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
Umgang mit Kindern erlernt hatte. Er erlaubte ihr nicht nur, sämtliche Kekse vom Teller zu naschen, sondern schmuggelte weitere Leckereien aus der Küche in seine Jackentaschen. Wir genossen die kurze Zeitspanne, in der Sennia wiederholt nach Ramses fragte und Emerson schließlich Löwe spielen mußte, bis sie Ruhe gab.
Später fanden wir uns in trauter Zweisamkeit am Eßtisch ein. Diese Situation war so ungewöhnlich, daß wir uns zunächst lediglich fragend anstarrten.
Emerson brach in lautes Gelächter aus. »Endlich allein! Gütiger Himmel, Peabody, ist es wirklich wahr! Was zum Teufel sollen wir machen, wenn sie uns alle verlassen haben?«
»Uns wird sicherlich etwas einfallen, Emerson.«
»Ganz recht, meine geliebte Peabody.« Über die gesamte Länge des Tisches hauchte er mir einen Kuß zu. Fatima strahlte sentimental, und Emerson schien verblüfft. »Also – äh –, was wollte ich noch gleich sagen? Es ist mir ein Vergnügen, allein mit dir zu sein. Wir müssen eine ganze Reihe von Dingen besprechen, Peabody. Verflucht, was ist das denn?« Mißtrauisch starrte er auf den ihm von Fatima servierten Teller.
»Hackbraten«, erklärte ich. »Rose hat Fatima einige ihrer Rezepte anvertraut, und sie hat sie Mahmud beigebracht.«
»Hmhm«, brummte Emerson.
Fatima wartete, bis er ein Lob äußerte, und schlenderte dann in die Küche, um Mahmud von ihrem gemeinsamen Erfolg zu berichten. »Schmeckt gar nicht so übel«, meinte Emerson kauend. »Etwas strenger als bei Rose vielleicht.«
»Das könnte am Fleisch liegen.«
»Vermutlich.« Emerson lehnte sich zurück und musterte mich mit ernstem Blick. »Verflucht, wir befinden uns in einem einzigen Chaos, Peabody.«
»Das ist doch ständig der Fall, Emerson.«
»Wie wahr. Diesmal sind es allerdings zu viele voneinander unabhängige Geschichten. Und eine davon werde ich heute abend klären.« Er griff nach seiner Taschenuhr.
»Sie werden erst in einer Weile aufbrechen. Iß deinen Teller leer, meine Liebe, und dann werden wir den Kaffee bei ihnen einnehmen.«
Die gräßliche Vorahnung, die mich daraufhin beschlich, war mir beinahe angenehm vertraut. »Gütiger Himmel«, entfuhr es mir. »Du sprichst von Ramses, nicht wahr? Ramses und David. Wohin aufbrechen? Was haben die beiden vor? Ich hätte es wissen müssen! Warum haben sie uns nicht informiert?«
»Ich werde die Antworten auf diese Fragen heute abend bekommen«, erwiderte Emerson selbstgefällig.
»Du mußt doch ebenfalls einen Verdacht gehegt haben, ansonsten hättest du doch nicht so rasch die richtigen Schlüsse gezogen. Danke, Fatima, das Essen war hervorragend.«
Nachdem sie die englischen Tischsitten beobachtet hatte, unterrichtete Fatima einen ihrer Neffen in den Aufgaben eines Butlers; allerdings hatte er noch nicht die Fertigkeit erworben, die sie als Mindestmaß ansah. Ich bezweifelte, ob er sie jemals zufriedenstellen würde; schließ lich genoß sie es, uns persönlich zu betreuen und unseren Gesprächen zu lauschen. Als sie den nächsten Gang servierte, mußte ich mich zum Essen zwingen, da mich nervöse Besorgnis übermannte.
»Natürlich war ich mißtrauisch«, erwiderte ich.
»Ramses bemüht sich, mir aus dem Weg zu gehen, dennoch sind mir die untrüglichen Zeichen aufgefallen; mit seinen dunklen Augenringen sieht er aus wie eine Nachteule oder wie der von Nefret befreite Falke. Auch David wirkt völlig verändert. Sie treiben sich wieder herum! Nachts, in der Altstadt, in ihren gräßlichen Verkleidungen! Was meinst du, ob sie Hinweise auf den Fälscher gefunden haben?«
Fatima hatte Davids Namen gehört. Aufgrund meiner nachfolgenden Äußerungen stieß sie einen kurzen Entsetzensschrei aus. Ich beruhigte sie (was keine leichte Aufgabe war, da ich selbst über die Maßen erregt war) und warnte sie, das Thema nicht vor Dritten zu erwähnen.
»Mach die Sache nicht so dramatisch«, kritisierte Emerson. »Ich vermute, daß sie – was ist schon Schlimmes dabei? – sich herumtreiben. Und deshalb verbringt Ramses seine Nächte auf der Dahabije.«
»Dann weiß Lia von ihren Aktivitäten.«
»Vermutlich zwingt David sie zur Geheimhaltung. Und ein Dritter könnte wiederum ihn und Ramses zur Diskretion verpflichtet haben.«
Ich starrte ihn entgeistert an. »Wardani?«
»Das macht Sinn, nicht wahr? Ich glaube, daß sie uns informiert hätten, wenn sie dem Fälscher auf der Spur wären.«
»Aber, Emerson, das könnte in einer Katastrophe gipfeln! Russell informierte mich, daß die
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