Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
alles andere. Dann half er mir bereitwillig, mein Abendkleid und meine Handschuhe zuzuknöpfen. Keiner von uns beiden nimmt einen persönlichen Bediensteten in Anspruch, obwohl ich sagen muß, daß Emerson einen gebrauchen könnte – wenn auch nur zu dem Zweck, daß er von Emerson verlegte oder achtlos unter das Bett getretene Kleidungsstücke wieder zum Vorschein brächte und Hemdknöpfe annähte; letztere reißen aufgrund der schwungvollen Methode meines Gatten, sich besagten Kleidungsstücks zu entledigen, ständig ab. Außerdem könnte er die in seinem Zimmer verstreuten Sachen bügeln und die von der Pfeifenglut entstandenen Brandlöcher stopfen, die häufig auf seiner Garderobe prangenden Blutspuren beseitigen und so weiter und so fort.
Was sagte ich noch gerade, bevor mich verständliche weibliche Verärgerung ablenkte? Nun ja, weder Emerson noch ich warten gern, es sei denn aufeinander. Als Emerson mir zu Füßen kniete, um meine Stiefeletten zu schnüren, als seine Finger zärtlich über meinen Rücken strichen, während er mein Kleid zuknöpfte … Aber vielleicht sollte ich nichts mehr sagen. Jede sensible Frau wird verstehen können, warum ich Emersons Aufmerksamkeiten niemals für die zwar wesentlich kompetentere, aber weitaus weniger reizvolle Unterstützung einer Zofe eintauschen möchte. Fatima und ihr – überwiegend mit ihr blutsverwandter oder verschwägerter – Bedienstetenstab erledigten ohnehin den Großteil der Reparatur- und Hausarbeiten für die gesamte Familie und hätten sogar noch mehr bewerkstelligt, wenn ich ihnen nicht Einhalt geboten hätte.
Als ich fertig war, ging ich zu Nefret, um ihr meine Hilfe anzubieten, doch sie war bereits komplett angezogen. Fatima zerbrach sich den Kopf über ihre Frisur, und eine von ihren Stieftöchtern, das Kind der zweiten Ehefrau ihres verstorbenen Gatten, beobachtete die beiden interessiert. Elia war ein hübsches, kaum vierzehnjähriges Mädchen, die eine Anstellung als Nefrets Zofe anstrebte, da sie sie unendlich bewunderte. Nefret war genausowenig erpicht darauf wie ich, doch sie wollte das Mädchen nicht entmutigen, das intelligent und ehrgeizig war und auf unseren Wunsch hin die Schule besuchte.
»Ich möchte dich ja nicht drängen, meine Liebe, aber die anderen warten bereits«, erklärte ich, während ich das strahlende Gesicht im Spiegel begutachtete.
»Ich bin fertig.« Nefret sprang von ihrem Toilettentisch auf. »Mit Ausnahme meiner Stola … Oh, danke, Elia. Sag jetzt nicht, daß Ramses ebenfalls wartet, Tante Amelia, er ist nie pünktlich.«
Allerdings trat er aus seinem Zimmer, als wir Nefrets verließen. Ich zupfte seine Krawatte zurecht und strich ihm einige Katzenhaare vom Ärmel, was er mit dem üblichen Gleichmut über sich ergehen ließ. Dann bestiegen wir in voller prunkvoller Abendgala unsere Kutschen und ließen uns zum Hotel chauffieren.
Mir war bereits zu Ohren gekommen, daß das Shepheard’s nicht mehr als das eleganteste Hotel Kairos galt. Die jüngeren Mitglieder der gesellschaftlichen Eliten zogen das Semiramis oder das Savoy vor. Meiner Ansicht nach konnte uns gar nichts Besseres passieren, da wir vermutlich nicht auf diese törichten Zeitgenossen stießen, wenn wir dort waren. Mein Sinn für Humor wird hochgeschätzt, und ich habe nichts gegen angenehme kleine Scherze, aber manche der üblen Späße dieser Beamten und Offiziere der sogenannten Oberschicht hätten sogar einen Schuljungen entsetzt. Die grazilen Statuen der nubischen Jungfrauen vom Fuß des riesigen Treppenhauses zu entfernen und sie in die Betten der Gäste zu legen, gehörte noch zu ihren harmloseren »Eskapaden«. Ihre Scherze gingen stets auf Kosten anderer Leute, insbesondere derjenigen, deren Umgangsformen, Bildung, Nationalität und gesellschaftlicher Status von dem ihren abwichen.
Das Shepheard’s hatte sich seit meinem ersten Besuch sehr verändert – in der Tat war es komplett renoviert worden. Trotzdem war es ein Teil von Kairos Geschichte, barg unzählige Erinnerungen an die Berühmten und die Berüchtigten, von denen ich sowohl die einen als auch die anderen vielfach persönlich kannte. Jeder Bereich dieses großartigen Bauwerks war mit anregenden Erinnerungen verknüpft: die Suite im zweiten Stockwerk, wo der geheimnisvolle Mr. Shelmadine von Krämpfen geschüttelt auf dem Teppich in seinem Salon zusammengebrochen war, nachdem er uns von der verborgenen Grabstätte der Königin Tetisheri erzählt hatte; die prachtvolle
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