Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra
Entdeckung, mein Junge. Anfänglich war Russell nicht unbedingt überzeugt von deiner Begründung, doch nachdem er darüber nachgedacht hatte, folgerte er, dass vieles für deine Argumentation sprach. Da er sich für nicht befugt hielt, die volle Verantwortung zu übernehmen, suchte er umgehend Maxwell auf. Ich schätze, das war kein angenehmes Gespräch! Trotzdem blieb Russell hartnäckig, und nach einigem Aufbrausen und Fluchen signalisierte Maxwell Kooperationsbereitschaft, bis sich die Sache in der einen oder anderen Weise klären ließ. Maxwell informierte Sethos, der sich freiwillig bereit erklärte, besagten Ort persönlich zu inspizieren.«
»Zum Glück für mich«, warf Ramses ein.
»Ja«, bekräftigte Emerson. »Dafür – äh – bin ich ihm sehr dankbar. Und für einige andere Dinge.«
»Wenn du lieber nicht darüber reden willst«, hob Nefret an.
»Es wäre mir lieber, aber ich kann nicht anders. Ich hatte geglaubt, dass dieser Abschnitt meines Lebens Vergangenheit sei, vergessen, verdrängt. Ich habe mich getäuscht. Man kann nie wissen, ob ein Gespenst aus der Vergangenheit nicht wieder auftaucht und einen heimsucht.«
Für eine Weile schwieg er, den Kopf gesenkt, das Gesicht ernst, aber gefasst. So unbewegt war er nicht gewesen, als wir an jenem Morgen zum Haus zurückritten und er mir die Geschichte in groben Zügen geschildert hatte.
»Meine Mutter war die Tochter des Earl of Radcliffe. Warum sie meinen Vater heiratete, der nur ein einfacher Landbewohner ohne Titel oder Vermögen war, habe ich nie erfahren. Es war … man darf annehmen, dass eine gewisse Anziehungskraft vorhanden war. Diese muss schon kurz nach der Eheschließung nachgelassen haben. Meine frühesten Erinnerungen sind die beleidigender Worte und erbitterter Vorwürfe, mit denen sie ihn traktierte, weil er ihre Erwartungen nicht erfüllte. Wie ich erfahren musste, wäre das unmöglich gewesen. Ihre Forderungen waren zu hoch, ihr Ehrgeiz zu übersteigert. Er hegte, so glaube ich, nicht den Wunsch, seine Lebensumstände zu verbessern. Er war wie Walter, liebenswürdig und optimistisch und doch innerlich gefestigt; solange er lebte, hatte das Leben nicht nur unangenehme Seiten. Als er starb, war ich vierzehn, und danach …
Sie hatte bereits entschieden, dass ich der Mann werden sollte, den Vater nie verkörpern wollte. Als ich mich weigerte, versuchte sie es mit den unterschiedlichsten Restriktionen. Das Schlimmste war, was sie Walter antat. Bis dahin hatten wir dieselbe Schule besucht. Du weißt, wie sie waren, selbst die besten; brutale Disziplin und Züchtigung sollten aus Jungen Männer machen. Ich war groß für mein Alter und setzte mich zur Wehr, doch Walter hätte schlimmen Zeiten entgegengesehen, wenn ich nicht dort gewesen wäre und mich für ihn eingesetzt hätte.
Sie trennte uns. Er entwickle sich zu einer Memme und einem Feigling, erklärte sie, und es sei an der Zeit, dass er lerne, auf eigenen Füßen zu stehen. Als ich in den Weihnachtsferien heimkehrte – es war ungefähr ein Jahr nach Vaters Tod –, hatte ich Walter schon seit Monaten nicht mehr gesehen; er durfte mir nicht einmal schreiben. An jenem Abend schneite es heftig, und in diesem Schneetreiben bemerkte ich sie – eine Frau und einen Jungen, die gegen den Sturm ankämpften. Sein Gesicht nahm ich kaum wahr, ich weiß nur, dass es vor Anstrengung und Wut verzerrt war. Als ich das Haus erreichte, erklärte ich ihr – meiner Mutter –, dass wir sie finden und ihnen Schutz bieten müssten. Daraufhin erfuhr ich, dass die Frau die Geliebte meines Vaters gewesen war, die ihre frühere Freundin um Hilfe hatte bitten wollen und abgewiesen worden war. Was dann geschah, weißt du. Sie sperrte mich bis zum nächsten Morgen in mein Zimmer.
Nun, um es kurz zu machen: Ich sah keine Möglichkeit, sie aufzuspüren; ich hatte weder Geld noch Einfluss. Nach jenem Abend wurde alles nur schlimmer. Ich war im Begriff, nach Oxford zu gehen, als ich entdeckte, dass sie eine Heirat für mich arrangiert hatte, mit der geistlosen Tochter irgendeines vertrottelten Adligen aus der Umgebung – und dann, wie eine Resonanz auf ein Gebet, erbte ich eine kleinere Summe von einem von Vaters Cousins. Es reichte, um mein Studium zu finanzieren und Walter von dieser brutalen Schule zu nehmen. Jahrelang war er hin und her gerissen zwischen seiner Angst und Abneigung vor ihr und dem, was er für seine Pflichterfüllung hielt. Sie machte ihm klar, dass er sich zwischen uns beiden
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