Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
Asad, nicht wahr? Mord oder Selbstmord?«
»Mord.«
Sie hatte ihm die Wahrheit eingestanden, weil ihr klar war, dass die Alternative noch schlimmer gewesen wäre. Es änderte nichts an seinen Schuldgefühlen. Er hätte die Gefahr voraussehen und die erforderlichen Schritte einleiten müssen.
»Diejenigen – wer auch immer es war – haben den Toten dort hingeschafft, wo sie und Vater ihn finden würden«, konstatierte er. »Warum? Nein, sag jetzt nichts, die Antwort ist offensichtlich.«
»Nein, überhaupt nicht. Mutter und Vater Leichen in den Weg zu legen ist die willkommene Gelegenheit, sie zu provozieren.«
»Weder Vater noch Mutter. Sondern mich. Er war mein Freund. Dann habt ihr also unisono beschlossen, mich im Ungewissen zu lassen? Hast du etwa erwartet, ich würde nach Kairo sprinten, um seinen Mörder zu stellen, und dabei womöglich meine Wenigkeit aufs Spiel setzen?«
»Untersteh dich, in diesem Ton mit mir zu reden!« Sie entwand sich ihm und baute sich schwer atmend vor ihm auf. »Wir haben es nur zu deinem Besten getan!«
Im Verlauf der vergangenen Stunde hatten sich die Dinge für Ramses mehr und mehr zugespitzt. Diese aufbrausende, kränkende Bemerkung schlug dem Fass den Boden aus. Er packte sie. Wenn sie protestiert oder sich entschuldigt hätte oder ihn auch nur zerknirscht angeschaut hätte, hätte er sie sofort losgelassen, aber sie war genauso wütend wie er; sie wehrte und wand sich fluchend, und aus einem Reflex heraus packte er sie mit einem Griff, den er schon einmal angewendet hatte: Er presste ihre rudernden Arme an ihren Körper und zog sie an sich. Ab diesem Punkt konnte von Selbstverteidigung nicht mehr die Rede sein. Er legte seine Hand auf ihre Wange und drückte ihren Kopf gewaltsam an seine Schulter.
Vielleicht war es ihre weiche Haut an seiner Handfläche oder das leise Seufzen, das ihr entwich, kaum mehr als ein Atemhauch. Er konnte nicht fassen, was er soeben getan hatte. Entsetzt und reumütig lockerte er seine Umklammerung und wollte sich äußern.
»Wenn du dich entschuldigst, bringe ich dich um«, flüsterte Nefret. Ihre Arme umschlangen seinen Hals.
Als sie kurz darauf das Geschäft verließen, hatten beide nur einen Gedanken, und die wenigen Worte, die sie in jener Nacht wechselten, hatten nichts mit Sethos oder Leichen zu tun. Ramses letzter zusammenhängender Gedanke, bevor ihn Müdigkeit überwältigte, war, dass sie Recht hatte, wenn sie behauptete, dass er Frauen nicht verstand. Offensichtlich musste er selbst bei seiner eigenen Frau noch viel lernen.
Am nächsten Morgen war Nefret bester Stimmung. Er erwachte vom Klang ihrer hellen, klaren Stimme, die ein kleines Potpourri ihrer Lieblingsmelodien zum Besten gab – die eher anrührenden Passagen aus romantischen Operetten –, während sie durch das Zimmer schwebte. »›Wenn du fort bist, mein Schatz … Wie grässlich die einsamen Stunden … Wir wollen nie mehr auseinander gehn, mein Schatz … Du, nur du allein! … Halt mich fest …‹«
Bei der hohen Note vibrierte ihre Stimme. »Falsche Tonart«, lachte Ramses. »Du bist ein Mezzo- und kein Koloratursopran.«
»Und du bist ausgesprochen träge.« Sie beugte sich über ihn und sang es erneut, ihm direkt ins Gesicht. »›Drück mich an dein Herz!‹ Aber nicht jetzt. Mohammed bereitet gerade dein Badewasser vor.«
Als er nach oben kam, saß sie bereits am Tisch und Nasir war nirgends zu entdecken. »Ich habe ihm gesagt, dass wir ihn nicht brauchen«, erklärte sie. »Wir haben eine Menge zu besprechen.«
»Ja.« Er wartete, bis sie seine Tasse gefüllt und die Kanne abgestellt hatte. Dann fasste er ihre Hand. »Nefret …«
»Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich nicht entschuldigen.«
»Nein, ich meine, ja, das hast du. Aber …«
»Ich habe seit Monaten darauf gewartet, dass du es endlich tust.« Sie lächelte ihr Grübchenlächeln. »Du bist unwiderstehlich, wenn du wütend bist.«
»Nun, vermutlich habe ich es nicht anders verdient«, meinte Ramses reumütig. »Aber ich verstehe nicht, warum …«
»Du hast mich behandelt wie jemanden, den du nicht sonderlich gut kennst und den du nicht kränken willst«, fuhr Nefret ihm ungehalten ins Wort. »Ist dir bewusst, dass das die erste richtige, lautstarke Auseinandersetzung war seit unserer Heirat?«
»Eine Auseinandersetzung ist eine Sache, und wenn dir daran gelegen ist, werde ich zukünftig mein Bestes tun. Aber dich so zu behandeln …«
»Nun, ich möchte nicht, dass du mich in
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