Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
meine Schwester Emmeline!«; Sethos erklärte Nefret, dass er sich in einen Prinz verwandeln würde, wenn sie ihn küsste; und noch einmal Sethos, auf den Ruinen seines Hauses thronend, beobachtete er hämisch grinsend, wie Mubashir fein säuberlich Ramses’ Lunge, Leber und Gedärm heraustrennte und in Urnen füllte. Die geschnitzten menschlichen Antlitze auf den Deckeln hatten nicht den königlichen Uräus auf der Stirn, und Ramses wollte sich gerade über diesen Fauxpas beschweren, als er aufwachte.
Während des Mittagessens erzählte er Nefret von dem ersten Teil des Traums, weil er dachte, es könnte sie erheitern. Die beiden letzteren Episoden ganz gewiss nicht.
»Du weißt, was die Freudianer dazu sagen würden, dass du Margaret hast ertrinken lassen«, sagte sie mit Grabesstimme.
»Sie irren sich. Großer Gott, ich wünschte, sie hätte unser Leben nicht noch kompliziert, aber dennoch bewundere ich sie sehr. Sobald er wieder genesen ist, halte ich ihn fest, dann kann sie ihn nach Herzenslust verprügeln. Du glaubst doch nicht etwa, dass Cyrus tatsächlich eine Schwester mit Namen Emmeline hat?«
»Ich denke nicht, dass er überhaupt eine Schwester hat.« Darauf lächelte sie. »Wie kam dein Unterbewusstsein auf Emmeline? Ist mir jemand entgangen?« »Die einzige Emmeline, die mir je begegnet ist, war Mrs Pankhurst, und ich versichere dir, dass ich immer einen Riesenbogen um sie gemacht habe.«
Sie plauderten, bis Nasir den Tisch abgeräumt und sich getrollt hatte. Ramses zündete sich eine Zigarette an. »Ist sie bereit?«
Nefret nickte. »Was ist mit dem Dinghi?«
»Man könnte es erkennen. Ich werde ein Boot stehlen oder mieten. Wir sehen uns.«
Der erste Teil des Plans verlief reibungslos. Als er zur Amelia zurückkehrte, in einem kleinen Segelboot, das er nach dem üblichen, intensiven Feilschen gemietet hatte, hatte sich die Mannschaft bereits zu ihrer Nachmittagsruhe begeben und auf dem Fluss verkehrten lediglich einige Handelsschiffe und Barken. Mit Nefrets Unterstützung hoben sie die schwarz gewandete Frau aus dem Bullauge und in das Boot. Während der Überfahrt sprachen beide nur sehr wenig. Er war mit dem Ruder und den Segeln beschäftigt und sie schien nicht erpicht auf eine Unterhaltung.
Als sie sich dem Ostufer näherten, hob sie ihren Kopf. Der Schleier verbarg ihr Gesicht, mit Ausnahme der Augen. Sie waren eingesunken und von dunklen Schatten umrahmt, doch als sie sprach, hatte ihre Stimme den gewohnt schroffen Tonfall.
»Sie halten mich auf dem Laufenden?«
»Ja. Höchstpersönlich, irgendwann im Laufe des morgigen Tages, wenn es uns gelingt. Vergessen Sie nicht, dass ich Ihnen geraten habe, in der Nähe des Hotels zu bleiben. Es würde mir das Leben unnötig schwer machen, wenn man Sie entführte.«
»Oder ermordete.«
»Das ist der einzig positive Aspekt an der Situation. Sollte man Sie verfolgen, dann will man Sie lebend.«
»Finden Sie das positiv?«
»Es ist wesentlich aufwändiger, eine gesunde, lebenslustige Frau zu verschleppen, als ihr die Kehle aufzuschlitzen.« Er ließ ihr nicht die Zeit für eine Reaktion. »Wenn irgend möglich, werde ich Sie in unmittelbarer Nähe des Hotels absetzen. Sie müssen dann noch ein Stück über die Uferböschung klettern, doch nach allem, was Sie gestern Abend geleistet haben, dürfte das für Sie ein Kinderspiel sein.«
Sie schaffte es, nach mehrmaligem Ausgleiten und einigem Fluchen. Ramses wartete, bis sie den höchsten Punkt des Damms erreicht hatte, bevor er folgte und gerade noch gewahrte, wie sie über die Straße schoss und den breiten Treppenflügel anpeilte, der zum Eingang des Winter Palace führte. So weit, so gut – jetzt musste sie nur noch daran denken, ihr ägyptisches Gewand abzulegen, bevor sie das Hotel betrat.
Der Wind hatte sich gelegt und Ramses brauchte doppelt so lange für die Rückfahrt und musste häufiger die Ruder einsetzen. Er gab den gemieteten Kahn zurück, versteckte Bart, Turban und Aba hinter einem Baum und strebte zur Amelia, sich abwesend das Kinn kratzend. Er hatte versucht, einen Kleber zu entwickeln, der keinen Juckreiz auslöste – bislang jedoch ohne Erfolg.
Die Sonne versank bereits im Westen und lange graue Schatten zeichneten seinen Weg. Sobald es dunkel war, konnte er den Rest seines Programms erledigen. Im Grunde genommen fieberte er dem bereits entgegen. Handeln war immer besser als abzuwarten und er rechnete eigentlich nicht mit Problemen. Nefret hatte das härtere Los zu tragen.
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