Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
ich kein Bett mehr sehen.«
»Dann setz dich und iss dein Frühstück.« Sie schüttelte zwei Tabletten aus der Chininflasche und reichte sie ihm. Er schluckte sie mit angeekelter Miene.
»Hört mir zu, ihr beiden, es reicht jetzt. Weiß Vandergelt überhaupt, dass er eine kränkelnde Schwester hat?«
»Nein«, gestand Ramses.
»Deshalb hat er auch noch nicht vorbeigeschaut, um sich nach ihr zu erkundigen? Schande über ihn! Ihr könnt das hier nicht mehr lange aufrechterhalten. Es wird zu kompliziert.«
Und du weißt nicht einmal die Hälfte, dachte Ramses.
»Wenn du mit dem Gedanken spielst, uns zu verlassen«, Nefret verschränkte die Arme vor der Brust, »dann bist du auf dem Holzweg. Die Sache ist noch nicht ausgestanden.«
»Ich erhole mich bestens, danke, Frau Doktor. Ich brauche lediglich genug Chinin, um die nächsten Tage durchzustehen. Pillen kann ich auch ohne fremde Hilfe schlucken.«
»Wo?«, erkundigte sich Ramses.
»In einem Hotel.«
»Das ist absurd«, entfuhr es Nefret.
»Erklär es ihr, Ramses.« Sethos wandte sich wieder Eiern und Toast zu.
Selbige Idee war Ramses auch schon gekommen. Er nickte seiner wutschnaubenden Gattin besänftigend zu. »Das ist die einzig mögliche Alternative. Er wird noch ein paar Tage Ruhe und Zuwendung brauchen und das ließe sich schwerlich in einer Berghütte gewährleisten. In der Rolle eines Touristen genießt er die Sicherheit innerhalb der Gruppe und eine gewisse Anonymität.«
Und wenn Sethos’ Widersacher ihn überwältigten, dann jedenfalls nicht hier. Ramses unterschätzte sie beileibe nicht; sie hatten bereits einige seiner Verstecke aufgespürt, und je länger er blieb, umso größer die Gefahr der Entdeckung. Sein als Haggi Sethos getarntes Erscheinungsbild vom Vorabend würde sie für eine Weile irreführen, die Geschichte von Emmeline ließ sich indes nicht lange aufrechterhalten. Er hatte keine Lust, mitten in der Nacht aufzuwachen und feststellen zu müssen, dass Mubashir durch ihr Kajütfenster kletterte.
»Exakt.« Sethos hatte mit der grimmigen Entschlossenheit eines Menschen zugelangt, der eine lästige Pflicht erfüllt. Jetzt schob er seinen leeren Teller von sich. »Wenn ich mir einen Anzug von dir ausleihen dürfte, ein Rasiermesser und ein paar andere Dinge, um glaubwürdig zu wirken …«
»Welches Hotel schwebte dir denn vor?«, unterbrach ihn Nefret. Eine spontane und überaus vergnügliche Idee hatte ihren Zorn besänftigt. »Doch nicht zufällig das Winter Palace, oder?«
»Das ist mir herzlich egal«, lautete die knappe Antwort.
»Ach, tatsächlich? Sie ist wohlbehalten dort eingetroffen, dennoch hatten wir seit gestern Nachmittag nicht mehr die Gelegenheit, mit ihr zu kommunizieren.«
Der Anflug einer seelischen Regung glitt über Sethos’ Gesicht, ehe es wieder den üblichen, verschlossenen Ausdruck annahm. »Wenn ihr einverstanden seid, fangen wir besser an. Es wird eine Weile in Anspruch nehmen, mich in einen lässig-eleganten Weltenbummler zu verwandeln.«
»Eine ganze Weile.« Nefret amüsierte sich köstlich. »Du wirst unsere Unterstützung benötigen, und die bekommst du nur, wenn du uns alles Wissenswerte enthüllst.«
»Ist Erpressung überhaupt mit dem hippokratischen Eid vereinbar?«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass es irgendwo erwähnt wurde. Es besteht absolut keine Eile«, setzte Nefret honigsüß hinzu. »Heute kannst du auf gar keinen Fall aufbrechen.«
»Aber …«
»Erklär es ihm, Ramses.«
»Aller Voraussicht nach wirst du heute Nachmittag einen weiteren Anfall haben«, führte Ramses aus. »Richtig, Nefret? Vorher können wir weder die nötigen Vorkehrungen treffen noch dich zum Hotel bringen.«
»Richtig«, bekräftigte Nefret. »Also leg los mit deinen Enthüllungen.«
Es war Nefrets Idee, das Mittagessen im Winter Palace einzunehmen. »Wir sollten uns vergewissern, dass mit ihr alles in Ordnung ist. Und sie wird wissen wollen, wie es ihm geht.«
»Ich habe versprochen, dass wir sie informieren, aber ich denke fast, dass sie inzwischen von ihren romantischen Gefühlen kuriert ist. Er hat sich wie ein Scheusal benommen.«
»Nun ja«, meinte Nefret viel sagend.
»Was soll das heißen?«
»Nichts von Bedeutung.« Sie richtete ihren Hut und glättete ihren Rock. »Ich bin bereit.«
Die Touristenfähre schien genau das Richtige für ihr Vorhaben. Um diese Tageszeit kehrten Ströme von Menschen nach ihren morgendlichen Besichtigungen in die Hotels zurück. Wenn sie ihren unwilligen
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