Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
verließen. Am Eingang zum Tal gibt es genügend Deckung. Vielleicht finden sich dort Spuren eines Kampfes.«
Was sie fanden, waren ein totes Pferd, die reglose Gestalt von Margaret Minton und eine Blutlache, die noch feucht im Sonnenlicht schimmerte.
Die Stelle war nur drei Meter von der Straße entfernt, einem schmalen, gepflasterten Wadi. Keine Spur von Nefret oder ihrem Pferd. Bevor Ramses sich regte, sprang Sethos aus dem Sattel und kniete neben der Frau. »Margaret«, hauchte er mit angehaltenem Atem. Er rührte sie nicht an.
Aufgrund der Sachlage hatte Ramses kein Verständnis für Mitgefühl. Er trat zu ihnen und schob seinen Onkel grob aus dem Weg.
»Sie ist nicht tot. Hol die Wasserflasche aus meiner Satteltasche.«
Sie bewegte sich, als er ihr übel zugerichtetes Gesicht mit Wasser bespritzte, und versuchte dann, sich aufzusetzen.
»Immer langsam«, murmelte Ramses und fasste ihre Schultern. Sie öffnete die Augen. Ihr Blick glitt abwesend über ihn und Sethos und schweifte suchend ab.
»Nefret. Er hat sie mitgenommen. Ich versuchte … Er hat mein Pferd getötet.«
»Wer?«
Sie rieb sich die Augen. »Dieser Junge – Jamil. Er rief sie, bat um Hilfe und sie ging zu ihm – Sie kennen doch Nefret. Da war noch ein anderer Mann, der sich hinter den Felsen verbarg – ein hässliches Narbengesicht …«
Er unterbrach sie. Wie das Ganze vonstatten gegangen war, war jetzt unwichtig. »Irgendeine Vorstellung, wo sie sie hingebracht haben könnten?«
»Nein. Tut mir Leid, Ramses, ich habe versucht …« »Ist schon in Ordnung.« Er durfte ihr keinerlei Vorwurf machen, sie hatte ihr Bestes versucht. Glücklicherweise hatte er einen anderen Sündenbock zur Hand. Sethos kniete noch immer, reglos wie eine Statue. »Verflucht, du bist mir eine schöne Hilfe«, schnaubte Ramses. »Bring sie zurück zum Schloss.«
Sethos beugte sich zu ihm. »Was hast du vor?«
»Ich kann mir nur einen möglichen Ort denken. Wenn sie dort nicht ist …« Er schob Margaret zu Sethos. Dieser musste sie packen, sonst wäre sie nach hinten gestürzt; dennoch hätte man kaum zu sagen vermocht, wer wen stützte. Aufgrund des Schocks und des Blutverlusts war sämtliche Farbe aus Sethos’ unrasiertem Gesicht gewichen. Margaret starrte ihn durchdringend an.
»Begleite Ramses. Er braucht …«
»Nein, braucht er nicht«, erwiderte Sethos. Er spähte zu Ramses auf. Die graugrünen Augen waren eingesunken, aber glasklar. »Ich wäre ihm nur im Weg. Kuentz hat das Deutsche Haus nicht in die Luft gesprengt. Ich war es. Rate mal, warum. Viel Glück.«
Das Kriegsministerium hatte nichts gegen Sethos in der Hand, da die Informationen immer spärlicher flossen. Diese Neuigkeit bestärkte Ramses in seiner Hoffnung. Kuentz hatte das Deutsche Haus als Basis für seine Antiquitätengeschäfte und vielleicht auch für andere Zwecke benutzt. Er konnte nicht mehr viele Verstecke haben.
Die Geheimhaltung war ohnehin kein Thema mehr. Mit Nefret als Geisel konnte er das Grab im hellen Tageslicht ausräumen, dieweil sie hilflos zusehen mussten.
Wie hatten sie sie fortgeschafft? Sie hätte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Vielleicht war das Blut nicht von ihr. Tot wäre sie nutzlos für Kuentz. Mubashir würde nicht wagen, sie umzubringen. Gleichwohl konnte er zu anderen Mitteln greifen. Bei der Erinnerung an das entstellte Gesicht, das er im Mondlicht gewahrt hatte, musste Ramses würgen. Er konnte nicht schlucken, sein Mund war staubtrocken.
Zumindest wusste er, dass er auf der richtigen Spur war. Irgendwann hielt er kurz an und erkundigte sich bei einer Frau, die auf den Feldern arbeitete, worauf er von einem Reiter erfuhr, der etwas vor sich auf dem Sattel getragen hatte. Er war in Richtung Fluss weitergeritten.
Das abgewirtschaftete Hotel schien unbewohnt. Einige magere Hühner liefen flatternd umher und gackerten, als er in den Hof ritt. Der Ort besaß einen heruntergekommenen Charme – malerisch, würde Baedeker sagen. Kletterpflanzen rankten entlang der Wände aus gebranntem Lehm und überwucherten teilweise den bombastischen Badezuber. Scheinbar waren die Hühner die einzigen Geschöpfe, die so viel Verstand besaßen, vor einem Mann mit einem Messer und einem Gefangenen zu fliehen. Ramses saß ab und zwang sich zu verharren, während sein Atemrhythmus sich normalisierte und er seinen nächsten Schachzug erwog. Der Grundriss des Hotels war ihm nicht vertraut. Sein Handrücken blutete noch immer. Er wischte ihn an seinem
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