Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
zu viele Menschen, Esel, Kamele, Karren, Kutschen auf der Straße. Er hoffte und betete, dass er sich unnötig Sorgen machte, aber Jamil hatte vorsätzlich Anweisungen nicht befolgt und war geradewegs zu ihrem Hauptverdächtigen gegangen. Sie hatten Jamil nie verdächtigt; die Mitglieder seiner Familie waren über jeden Verdacht erhaben, dennoch fanden sich gewisse Anhaltspunkte. Hatte Jumana sich nicht gebrüstet, dass ihr Bruder sich im Gebirge am Westufer auskennen würde? Das Aufspüren von Grabstätten war eine beliebte Beschäftigung. Wenn Jamil das Grab entdeckt hatte und Kuentz hatte ihn dabei ertappt und eine Komplizenschaft in Aussicht gestellt …
Sobald Ramses die Hauptstraße verlassen hatte, ritt er schneller. Wie lange war Jumana bewusstlos gewesen, bevor sie erwachte und sich mit einem verstauchten Knöchel und einer möglichen Gehirnerschütterung zu ihnen geschleppt hatte, um sie zu warnen? Sie würde ihre Chance bekommen – und alles, was sie nur wollte, sogar Bertie.
Die zwei jüngsten Kinder von Yusuf spielten auf der Veranda. Ramses atmete erleichtert auf. Es war nichts passiert. Noch nicht. Er ließ die Stute zurück und schob die beiden Kinder in den Salon, wo Yusuf auf dem Sofa thronte. Er beachtete diesen und sein langes, überschwängliches Begrüßungsritual nicht weiter, sondern rannte durch den Gang. Die älteren Kinder und die Frauen waren im Innenhof mit Haushaltsdingen beschäftigt. Er unterbrach auch ihre Begrüßung.
»Es kann Ärger geben«, wandte er sich an Kadija. »Schaff sie alle in den Salon und behalte sie dort.«
Sie verschwendete keine Zeit auf Fragen, nicht Kadija. Stattdessen scheuchte sie Yusufs zahlreiche Ehefrauen und Nachkommen wie eine aufgeschreckte Schafherde vor sich her und verschwand im Haus.
Sie kamen über die Mauer – geschmeidig wie Wiesel und zu dritt. Nur eines der Gesichter war ihm vertraut und es war weder das von Kuentz noch von Mubashir. Ramses hatte den Mann schon irgendwo gesehen, auf der Straße in Luxor oder vor dem Hotel.
Als sie ihn gewahrten, stockten sie für Augenblicke. Sie hatten lediglich mit Frauen und Kindern gerechnet.
Dann begriff er, dass Kadija hinter ihm stand. Stumm und fest wie ein Fels hielt sie die Granitstatue eines Zentauren am Hals gepackt, als wäre diese ein Prügel. Sie hatte den erstbesten schweren Gegenstand gepackt, der ihr in die Finger gekommen war.
»Geh ins Haus«, drängte er. »Bleib bei den Kindern. Schließt euch ein.«
Er schob sie ins Haus, warf die Tür zu und stellte sich mit dem Rücken davor. Nach einer leise getuschelten Unterredung verzogen sich die drei Männer, zwei auf die beiden Hofseiten, der dritte in die Mitte. Eine Anfängertaktik, aber effektiv – unter den gegebenen Umständen. Einer war so dunkelhäutig wie ein Nubier, die beiden anderen hatten die markanten Züge und die schlanken Gliedmaßen der Bewohner der Westwüste. Sie hatten ihre Gewänder zusammengerafft und in ihre Gürtel gestopft, die Klingen der von ihnen gezückten Messer waren gut 20 Zentimeter lang. Auch er zog sein Messer.
Die Blenden des Zimmers zu seiner Rechten sprangen auf und sein Onkel kletterte aus dem Fenster. Er hatte seine Galabija abgelegt und trug lediglich eine weite Hose – vermutlich Yusufs, da er sie um seine schlanke Taille gebunden hatte.
»Geh wieder rein!«, befahl Ramses.
»Wir können sie doch nicht ins Haus lassen, oder? Ich nehme nicht an, dass du so vernünftig warst, jene Pistole zu akzeptieren.«
»Du hast sie Nefret gegeben, nicht mir. Woher hast du das Messer?«
»Von Kadija. Da kommen sie. Ich hoffe, du hattest nicht vor, fair zu kämpfen.«
»Nein. Wir nehmen den auf der rechten Seite.«
Das würde ihn zwischen Sethos und die beiden anderen bringen. Er rechnete nicht mit sonderlich viel Unterstützung von Seiten seines von der Krankheit geschwächten Onkels, dennoch besserte sich seine Stimmung. Seite an Seite mit einem Mann von seinem eigenen Blut zu kämpfen, wie Mutter es vermutlich umschreiben würde … Andererseits hätte er einem Fremden mit zwei Pistolen den Vorzug gegeben.
»Jetzt«, zischte er.
Konfrontiert von zwei Angreifern, die unvermittelt auf ihn zustürmten, zögerte ihr Gegner für eine kurze, aber entscheidende Sekunde. Sethos schlug ihm ins Gesicht, Ramses drehte ihm den Arm um und rammte sein Messer in den Bauch des Mannes. Das hervorsprudelnde Blut erschwerte eine Umklammerung des Griffs, und als der Mann zusammenbrach, riss sein Gewicht die Waffe aus
Weitere Kostenlose Bücher