Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
seines Körpers wurde von dem Grabschacht verborgen, dennoch drängte sich mir die aberwitzige Vorstellung an eine Enthauptung auf. »Wer ist das?«, brüllte er. »Warum arbeitest du nicht? Wird es nicht Zeit für das Mittagessen?«
»Doch, doch!«, brüllte ich zurück. »Komm hoch, Emerson, und begrüße einen alten Freund.«
Ehe er sich zu uns gesellte, hatte ich gerade noch Zeit, um leise zu murmeln: »Ich bin geneigt, Ihnen zu glauben, William, und ich werde mein Bestes tun, Emerson zu überzeugen. Aber nehmen Sie doch Haltung an und treten Sie ihm wie ein Mann entgegen!«
Emerson zu überzeugen war ein Kinderspiel. Er war so frustriert, dass er vermutlich einen Axtmörder eingestellt hätte, falls dieses Individuum in der Lage gewesen wäre, altägyptische Texte zu kopieren. Ermutigt von einigen verstohlenen Knuffen meinerseits, gelang es William, zusammenhängende Sätze zu formulieren und Emersons Blick standzuhalten. Er erklärte, dass er ein Zimmer in einem so genannten Hotel im Dorf Gizeh gemietet habe. Ich kannte die Lokalität und hätte dort nicht einmal einen Hund einquartiert, dennoch entschied ich, dass ich noch eine Weile warten wollte, ehe ich jemandem die Gastfreundschaft unseres Hauses anbot, dessen Lebensweise vielleicht nicht akzeptabel war.
Williams Dienstantritt war viel versprechend. Pünktlich am nächsten Morgen tauchte er auf, gewaschen, rasiert und nüchtern, und er arbeitete gut und unermüdlich.
Ich musste ihn zum Tee überreden; ich musste ihn zum Essen überreden; er fing an, etwas zuzusetzen und sein Selbstvertrauen wieder aufzubauen. Sogar Sennia mochte ihn. »Er ist ziemlich langweilig«, lautete ihr Urteil. »Aber nett.« Nach ein paar Tagen schlug ich ihm vor, in eines unserer Gästezimmer umzusiedeln.
Zu meinem Erstaunen lehnte er höflich, aber entschieden ab. »Sie haben schon so viel für mich getan, Mrs Emerson. Das kann ich erst annehmen, wenn ich es mir redlich verdient habe.« Inzwischen war er so offen zu mir, dass er mit einem verschämten Lächeln hinzusetzte:
»Es hat nichts damit zu tun, dass ich abends dem Alkoholgenuss fröne, wissen Sie.«
Dessen war ich bereits sicher gewesen; die Anzeichen des übermäßigen Genusses sind mir bestens vertraut. Also drängte ich ihn nicht, denn jeder Mensch hat ein Recht auf seine Privatsphäre.
Vermuten Sie jetzt nicht, werte Leser, dass ich aufgrund der Arbeitsbelastung ein anderes Ziel aus den Augen verloren hätte. Die Kinder waren fast eine Woche fort, als ich entschied, dass Emersons Laissez-faire-Ansatz nicht funktionierte. Niemand hatte uns angegriffen. Es war extrem beunruhigend, deshalb begann ich, auf eigene Faust Pläne zu schmieden. Ich ging so vor, dass ich wenigstens zwei Dinge auf einmal im Auge behalten konnte.
Effizienz ist meine Stärke, wenn ich das einmal so sagen darf; und außerdem nahm ich nicht an, dass ich Emerson ein zweites Mal würde entwischen können, nachdem er herausgefunden hatte, was ich getan hatte.
Eines Nachmittags – er war intensiv beschäftigt mit einem seiner Grabstollen – machte ich mich davon. Ich wusste, dass er noch eine Weile dort unten bleiben würde, da er einige interessante Mumienreste entdeckt hatte. Natürlich hinterließ ich zu Hause eine Nachricht für ihn, gleichwohl rechnete ich damit, dass mir eine oder zwei Stunden bleiben würden, bevor er mich aufspürte.
Der Turf Club war eine Bastion englischer Intoleranz im Herzen von Kairo. (Diese Umschreibung stammt von Emerson.) Ägyptern war eine Mitgliedschaft nicht erlaubt. Genauso wenig wie den Unteroffizieren. Auch wir zählten nicht zu den Mitgliedern, trotzdem ging ich nicht davon aus, dass man mir den Zutritt verweigern würde.
Das erwies sich als korrekt. Der Türsteher war ein stattlicher, überaus düster blickender Bursche, der selbige Position zuvor im Shepheard’s bekleidet hatte. Er trat einen Schritt vor. Ich schwenkte meine Schirmspitze in seine Richtung, natürlich im Guten. Hastig wich er zurück und riss die Tür auf.
Ich war noch nie in diesem Club gewesen, da Emerson und ich es ablehnten, Lokalitäten dieser Art zu frequentieren, doch ich hatte gehört, dass viele Offiziere und hohe Beamte sich dort für gewöhnlich trafen, tranken und tratschten, um dann ihren diversen Abendvergnügungen nachzugehen. In dem riesigen Saal, in dem ich jetzt stand, schienen diese Aktivitäten stattzufinden; er war nicht übermäßig gefüllt, denn es war noch früh, trotzdem gewahrte ich eine Reihe mir
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