Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
nicht«, beeilte sich Jamil zu bekräftigen. »Ich habe auf einen spitzen Stein getreten und deshalb aufgeschrien. Es war nicht aus Angst.«
»Tut, was ich euch sage!«, fuhr Ramses ihn an. »Wir bleiben nicht lange.«
Die beiden zogen sich leise zeternd zurück.
Nefret trat näher zu ihrem Gatten. Trotz ihrer behutsamen Schritte knirschte der Boden unter ihren Füßen.
»Du hättest sie ruhig bleiben lassen können. Jamil ist derjenige, der ständig Krawall schlägt.«
»Ich wollte sie beide loswerden.«
»Weshalb?«
»Aus mehreren Gründen. Der erste und wichtigste …«
Ein Arm umschlang ihre Taille. Die andere Hand umklammerte energisch die Taschenlampe, und sie hob lachend den Kopf, um ihn zu küssen.
»Das macht 22«, murmelte er nach einer Weile. »Hast du gedacht, ich wollte dir damit ein weiteres Mal auf den Kopf schlagen?«
»Ich kann es dir kaum verdenken, dass du den Verstand verlierst, wenn ich dich küsse«, meinte er großspurig und küsste sie noch einmal.
»Es gibt noch einen Grund«, fuhr er fort. »Die Diebe konnten in aller Eile das Grab verlassen, also waren sie noch nicht weit vorgedrungen. Ich denke, als wir sie aufstörten, befanden sie sich in dieser Kammer.«
Er deutete mit der Taschenlampe auf die Wand links von ihnen. Zweifellos hatte jemand daran gearbeitet. Sie hätte vermutlich auf Howard Carter getippt; die freigelegte Fläche war exakt abgegrenzt und umfasste die Tür und einen Teil der Wand.
Das Versteck war ein klaffendes Loch im Mauerwerk, das man aufgrund des losen Gesteins in aller Eile vergrö ßert hatte. Sie konnte nur ahnen, was dort früher einmal verborgen gewesen war; zurückgeblieben waren nur einige Perlen und ein schmaler Streifen Gold – ein Kettenglied oder ein Teil einer Armbandschließe. Leise und inbrünstig fluchend sammelte Ramses die Stücke ein, gab sie Nefret und tastete mit seinen Fingern durch den Staub. Er fand einen kleinen Gegenstand, den die Diebe übersehen hatten: einen goldenen Ring, gekrönt von einer Türkisplatte – vielleicht war es auch blaues Glas – mit mehreren winzigen Figuren in Goldreliefarbeit.
»Als sie das Signal hörten, hatten sie das meiste vermutlich schon geborgen«, knurrte er. »Dann haben sie alles zusammengepackt und sind geflohen. Verfluchter Mist!«
»Verfluchter Mist!«, bekräftigte Nefret. »Woher wussten sie, wo sie suchen sollten?«
»Gute Frage. Vermutlich war es ein frühzeitliches Diebesversteck; irgendein Baumeister oder Priester raffte eine Hand voll Schmuck zusammen – oder vielleicht eine kleine Truhe, hier sind Holzsplitter –, möglicherweise als das Grab inspiziert wurde oder für eine weitere Bestattung erneut geöffnet wurde, und versteckte seine Beute, um sie später zu holen, wenn keiner in der Nähe war. Carter hätte sie gefunden, wenn er noch etwas weiter vorgedrungen wäre. Er wird verzweifeln, wenn er das hört.«
Als er sich erhob, meinte Nefret: »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Woher wussten sie, wo sie den Schmuck suchen sollten?«
»Das kann ich dir nicht beantworten. Aber er hat eine teuflische Begabung, solche Dinge zu finden.«
»Er ist tot«, murmelte Nefret kurz darauf.
»Ist er das?«
Sie hatten zu laut geredet. Ein verwirrendes, hohles Rascheln hub an. Sie verließen die Kammer und traten den Rückweg über den steilen Korridor an.
»Du solltest unseren Fund nicht gegenüber Jamil oder Jumana erwähnen«, riet Ramses.
Nefret nickte zustimmend. Genau wie er wusste sie, welche Wirkung das Wort »Gold« auf die Männer von Gurneh hatte und wie das Gerede den Fund aufbauschen würde. Bei ihrem Auftauchen begrüßten ihre Begleiter sie überschwänglich.
»Ist jetzt Essenszeit?«, erkundigte sich Jamil hoffnungsvoll.
»Nun, wir könnten eine Rast machen«, erwiderte Nefret. »Ramses?«
Er untersuchte die felsige Oberfläche rings um den Eingang. Sie entdeckte es fast gleichzeitig mit ihm: ein grober, in den Stein gehauener Kreis, durchbrochen von einer geschwungenen Linie.
Gelegentlich konnte der Mann, den Nefret von ganzem Herzen liebte, sie so wütend machen, dass sie ihn liebend gern verdroschen hätte. Wollte sie ihrer Schwiegermutter glauben, so war das eine ganz normale, ja, sogar positive Regung. »Nicht dass ich es jemals in Erwägung ziehen würde, einen Mann zu schlagen«, hatte sie erläutert. »Das wäre gegen die Spielregeln. Eine nachdrücklich geäußerte Verärgerung ruft normalhin eine lautstarke Reaktion und eine kurze Auseinandersetzung
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