Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
ihre bedenkliche Miene. Ich setzte meinen Hut ab, legte ihn behutsam auf den Tisch und beeilte mich, Ordnung in das Chaos zu bringen.
»Cyrus!«, sagte ich ziemlich eindringlich.
»Verflixt und zugenäht …« Er stockte und starrte mich entgeistert an. »Amelia. Wo sind Sie gewesen? Wieso waren Sie nicht hier? Wissen Sie, was diese hinterhältige, schamlose Bande hinter unserem Rücken getrieben hat?«
»Allmählich gewinne ich eine Vorstellung. Setzen Sie sich und hören Sie auf zu brüllen, Cyrus. Fatima, bringst du uns bitte das Teetablett? Danke. Und jetzt möchte ich eine komplette Schilderung, von …« Jumana riss ihren Arm hoch und schnippte mit den Fingern, wie eine eifrige Schülerin, die unbedingt etwas vortragen will. Ich bemerkte, dass die scheppernden Geräusche, die ihre Bewegungen untermalten, auf die an ihrem Gürtel befestigten Utensilien zurückzuführen waren. Ich fühlte mich zwar irgendwie geschmeichelt, aber nicht geneigt, ihr das Wort zu erteilen; sie wirkte mir ein bisschen zu selbstgefällig.
»Emerson«, sagte ich. Jumana kapitulierte schmollend.
Im Verlauf von Emersons Epistel musste ich Cyrus mehr als einmal zur Ruhe gemahnen, indes hatte das göttliche Getränk, das ich allen Anwesenden aufdrängte, wie stets beruhigende Wirkung – selbst auf mich. Emersons Doppelspiel schockierte mich über die Maßen. Indes beschränkte sich meine Empörung auf einige wenige vorwurfsvolle Blicke, die Emerson geflissentlich ignorierte.
»Ende gut, alles gut, was Peabody?«, schloss er.
»Hmmm«, seufzte ich. »Nefret?«
Sie unterhielt sich mit Kadija. »Keine Knochenbrüche«, konstatierte sie. »Er hat Glück gehabt. Aber er wird den Fuß für einige Tage nicht belasten dürfen.«
»Glück gehabt!«, platzte Cyrus heraus. »Er hatte kein Recht, sich einfach so davonzustehlen. Er –«
»Er ist nicht der Einzige unter den Anwesenden, der unüberlegt gehandelt hat«, unterbrach ich.
Ramses bedachte mich mit einem breiten, schuldbewussten Grinsen, dann wurde er ernst. »Wir hätten ihn letztlich gefunden, Cyrus, auch ohne Jumana.«
Das Mädchen musste sich an diesem Tag noch aufsässiger benommen haben als sonst, andernfalls hätte er ihre Bemühungen bestimmt nicht so heruntergespielt. Wir hätten gewiss nach Bertie gesucht, ihn aber vielleicht nicht rechtzeitig gefunden. Vermutlich verdankte der junge Mann ihr das Leben.
»Wer hat seine Hand verbunden?«, erkundigte sich Nefret.
»Ich wünschte, ihr würdet aufhören, ständig in der dritten Person von mir zu reden«, sagte Bertie steif. »Jumana –«
»Ja, ich war’s!« Sie sprang unter Geklirr und Geschepper auf. »Wie ihr seht, habe ich auch einen Utensiliengürtel, genau wie die Sitt Hakim! Ich habe seine Hand gesäubert und bandagiert und mich um ihn gekümmert. Es war sehr dumm von ihm, allein dort hinzugehen.«
Bertie lief rot an, bekam aber keine Gelegenheit, sich zu rechtfertigen; er hatte noch nicht realisiert, dass man in unserem Zirkel brüllen muss, will man sich Gehör verschaffen. Emerson übernahm es für ihn. Männer rotten sich immer zusammen, wenn Frauen einen von ihnen kritisieren.
»Und auch von dir, Jumana.« Emerson knallte seine Tasse auf den Unterteller. »Alle, ob Männer oder Frauen – und seien sie auch noch so erfahren – könnten sich in diesem Gelände verletzen und zu Tode kommen, bevor man sie findet. Nein, junge Dame, widersprich mir nicht! Warum hast du Vandergelt nicht gesagt, wo du hinwolltest?«
Jumana senkte den Kopf. »Ich wollte ihn selber finden«, murmelte sie.
»Verstehe.« Emersons Stimme wurde sanfter und Berties Gesicht noch eine Spur dunkler. Männer sind so naiv; sie hielten ihre Äußerung für einen Beweis ihrer Zuneigung. Ich, die ich Jumana einmal erklärt hatte, dass der wohlhabende und einflussreiche Cyrus Vandergelt jedem wohlgesonnen sei, der sich um seinen Adoptivsohn kümmerte, hatte als vorrangiges Motiv ihren Egoismus in Verdacht.
»Schluss mit den gegenseitigen Anschuldigungen«, sagte ich. »Wir müssen –«
»Ich bin noch nicht fertig«, erklärte Cyrus. »Verdammt, noch lange nicht. Ich bitte um Verzeihung für meine Ausdrucksweise, meine Damen, aber ich habe noch ein paar Takte zu reden, mit diesem Herrn hier. Emerson, alter Knabe, Sie haben mir vorsätzlich und hinterhältig Deir el-Medina abgetreten, um genau das zu tun, wovon Sie mir dringend abgeraten haben! Und beim Allmächtigen, dort oben ist ein Grab! Jetzt haben wir den Beweis!«
Betreten
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